Die Gettys und die Italiener müssen mit den Kosequenzen der Entführung umgehen und Chace macht sich auf in ein neue Reise
Am vergangenen Sonntag beendeten zwei neue Serien aus den USA ihre jeweiligen Auftaktstaffeln: Killing Eve von BBC America und Trust von FX. Und während ich erstgenannte in meinem Review noch als „beste neue Serie im Jahr 2018“ bezeichnet hatte, so gebührt der zweiten wenigstens der Titel der „schönsten neuen Serie im Jahr 2018“. Entscheidet der Kopf, gewinnt natürlich „die beste“. Doch geht es nach dem Herzen, triumphiert zu guter Letzt „die schönste“.
SJ-Therapie 2x08: Trust und die verrückten Milliardäre
Für nüchterne Rationalisten, denen die Serie wahrscheinlich eh nicht gefallen wird, hier also die Warnung: Die folgende Kritik der ersten und hoffentlich nicht letzten Staffel Trust wird alles andere als objektiv oder analytisch. Vielmehr gebe ich mich, noch immer trunken vom grandiosen Finale, den eigenen Gefühlen hin. Für mich ist dies nicht einfach eine Serie, sondern ein Gemälde Michelangelos (was die Bildkompositionen und Kamerafahrten betrifft) oder fast schon eine Oper von Puccini (mit Blick auf die herrliche Melodramatik und Absurdität).
Eine echte Schande, dass Sky Atlantic die geplante Deutschlandpremiere Anfang Mai aus sogenannten lizenzrechtlichen Gründen auf unbestimmte Zeit verschieben musste. Ganz ohne Spoiler kommt man bei der Besprechung leider nicht aus. Wer sich hinsichtlich der Handlung überraschen lassen will, kann aber wenigstens zur letzten Seite springen, auf der ich die schönsten Szenenbilder dieser Staffel gesammelt habe. Und wenn die den Appetit nicht anregen, dann weiß ich auch nicht...
Gettys italienische Reise
Wer es noch nicht mitbekommen hat: Die Serie Trust erzählt vom Mythos der Familie Getty, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als reichster Clan der Welt betrachtet wurde. Ich sage bewusst „Mythos“, denn die Serienmacher Danny Boyle und Simon Beaufoy, die als eingespieltes Regisseur-Autoren-Duo auch Filme wie „Slumdog Millionaire“ und „127 Hours“ schufen, nehmen sich sehr große Freiheiten. So groß, dass eine Getty-Erbin sogar Klage einreichte. Doch als Zuschauer kann man nur froh darüber sein, dass sich Boyle und Beaufoy nicht sklavisch an die Fakten halten. Gleiches gilt übrigens auch für „Alles Geld der Welt“, den ebenfalls 2018 erschienen Film von Ridley Scott, der dieselbe Geschichte aufarbeitet.
Doch was ist die Geschichte überhaupt? Im Zentrum stehen drei Männer, die allesamt denselben Namen tragen: Jean/John Paul Getty. J. Paul Getty I (Donald Sutherland) ist der Patriarch, der die Familie, aber vor allem den Treuhandfonds zusammenhält. J. Paul Getty II (Michael Esper) ist sein Junkiesohn, der dem ständigen Druck seines Übervaters nicht standhielt. Und J. Paul Getty III (Harris Dickinson) ist der Enkel, der charmante Hoffnungsträger der Familie, dem allerdings ein tragisches Schicksal widerfährt - so wie am Ende auch den anderen.
Seinen Beginn nimmt das Drama - wie so viele große Dramen der Geschichte - in Bella Italia, genauer gesagt in Rom, der Wahlheimat des jungen Paul. Fern vom Ölgeschäft seiner Familie und der Bürde, die der Name Getty mit sich bringt, lebt er dort das schöne Leben. Mit den deutschen Zwillingsschwestern Jutta (Sarah Bellini) und Martine (Laura Bellini) geht er feiern, tanzen, rebellieren und nimmt auch jede Menge Drogen. Mal besuchen sie eine Party des Regisseurs Polanski, mal werfen sie Steine auf die Carabinieri. Was soll man sagen? Es sind eben die Siebziger und die drei Möchtegern-Hippies sind jung, dumm und glücklich. Nur leider sorgt die Dummheit bald für das Ende ihres Glücks.
Eine Sommerliebe mit der Mafia
Wenn sich Hollywood dem Stiefel Südeuropas annimmt, kann man sicher sein, dass auch das organisierte Verbrechen eine Rolle spielt. Als Paul wegen einer Summe von 6000 Dollar in Misskredit gerät, hilft ihm der Familienfonds nicht weiter. In seinem Übermut nimmt er die Sache selbst in die Hand und verkauft sich kurzerhand an Gangster. Gemeinsam mit seinem Bekannten Bertolini (Giuseppe Battiston) arrangiert er die eigene Entführung. Denn, wenn der Thronfolger der reichsten Dynastie der Welt gekidnappt wird, scheint der Geldregen unvermeidlich. Allerdings hat Paul die Rechnung nicht mit seinem geizigen Großvater gemacht, der trotz schlimmster Drohungen nicht einen Cent bezahlen will.
Stattdessen schickt der Milliardär seinen Problemlöser nach Europa, den Texaner Fletcher Chace (Brendan Fraser). Und was Fraser aus dieser Rolle macht, ist wirklich großes Kino und lässt einen als Zuschauer um all die verlorenen Jahre weinen, in denen der Schauspieler wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien. Ein Mann mit seinem Charisma muss einfach ein Weltstar sein - und jeder, der die Serie sieht, wird das bestätigen. Obwohl Trust noch viele andere fantastische Darstellerinnen und Darsteller zu bieten hat: Von der zweifachen Oscarpreisträgerin Hilary Swank als Pauls Mutter Gail über Silas Carson als sympathischen Butler Bullimore bis hin zum Italiener Luca Marinelli, der mit seinem Primo den wohl coolsten Kriminellen dieses Jahres spielt.
Mit Primo und Fletcher Chace, der quasi als Erzähler der Serie fungiert und der als einziger die fetzigen Montageszenen einleiten kann, die der Geschichte durch bunte Originalaufnahmen den nötigen Zeitgeist einhauchen, beginnt Trust ab Episode zwei, so richtig Spaß zu machen. Denn die Serie ist nicht etwa nur dramatisch und emotional, sondern auch wahnsinnig witzig - eben ganz genau wie The Young Pope. Die besten Sprüche haben natürlich der schmalzige Mafioso und der taffe Hobby-Cowboy. Doch alle anderen Männer versuchen nicht weniger zu beweisen, wie stark und abgeklärt sie sind. Immer wieder betonen sie, wie wichtig ihr Business sei, während die Frauen den Blick für das wirklich Wichtige behalten, nämlich dafür, dass keiner verletzt wird...
Die Poesie der Gewalt
Ohne das Vergießen von Blut kann ein Drama wie Trust allerdings nicht enden. So ziemlich alles, was schiefgehen kann, geht schief - besonders aufseiten der Verbrecher, die sich mit der Entführung des Getty-Jungen mehr als offensichtlich übernommen haben. Gleich mehrmals gelingt dem jungen Paul die Flucht, doch durch unglückliche Umstände landet er immer wieder in den Fängen seiner Peiniger. Obwohl er eigentlich kein großes Leid erfährt, denn auch sie schließen den freundlichen Milliardärsspross, der sie mit Respekt behandelt und Schattenspiele für sie aufführt, schnell in ihre Herzen. Mit dem Übersetzer Angelo (Andrea Arcangeli) verbrüdert er sich sogar, was Mitte der Staffel für eine der herzerwärmendsten und dann herzzerreißendsten Szenen dieser Serie sorgt.
Mit der Zeit weicht aber auch die kategorische Ablehnung von Getty Senior auf, auf die Lösegeldforderungen einzugehen. Man erkennt tatsächlich, dass dem alten Mann an seinem Enkel etwas liegt. Als er ihn durch ein Missverständnis kurzzeitig für tot hält, fängt er sogar an, zu weinen. Aber natürlich wäre der Geschäftsmann nie so reich geworden, wenn er nicht auch in den heikelsten Situationen noch verhandeln würde. Aus 17 Millionen Dollar werden rasch nur noch fünf. Allerdings ist auch an diesem Deal noch eine irrwitzige Bedingung geknüpft: Bezahlen soll sie nämlich der zugedröhnte Getty II, der den Kredit aus dem Fonds jedoch nur mit Zinsen aufnehmen darf. Soll heißen: Getty I verdient an der Entführung mit.
Die arme Mutter Gail kann dieses furchtbare Theater größtenteils nur hilflos mitverfolgen, doch gegen Ende der Staffel wird sie in ihrer Verzweiflung immer aktiver. Nicht einmal ihr Aufpasser Chace kann sie nun noch aufhalten, um ihr heimliches Lieblingskind sicher und gesund zurückzukriegen. Sie ist die wahre oder vielleicht sogar die einzige Heldin der Geschichte - obwohl ihr Geschmack in Sachen Männern durchaus zu wünschen übriglässt. Ernsthaft, Gail, diese beiden Typen?!?
Bevor es aber in die Besprechung des Finales geht, hier noch einmal die Empfehlung, der Serie Trust eine Chance zu geben: Zugegeben, das Familiendrama ist grotesk, an vielen Stellen zu dick aufgetragen und als Dokumentation über die Geschichte der Familie Getty taugt das Ganze auch nicht. Doch zumindest für Ästheten dürfte die Serie ein echter Volltreffer sein, denn: Was uns Boyle und Beaufoy allein auf visueller Ebene servieren, ist absolute Spitzenklasse (einige Kostproben gibt es auf der nächsten Seite). Und wer anfangs Probleme hat, reinzukommen, dem sei gesagt, dass die Auftaktstaffel in ihrer zweiten Hälfte noch einmal deutlich zulegt. Besonders die Episoden In the Name of the Father (1x08) und White Car in a Snowstorm (1x09) sind dabei positiv hervorzuheben, obwohl auch die Finalfolge Consequences (1x10) einiges zu bieten hat.
Der Schlussakt
Nachdem Paul bereits im Vorfinale freikam - oder eigentlich dem echten Finale, denn die letzte Episode ist eher ein Epilog - geht es, wie der Titel schon verrät, nun um Konsequenzen. Fletcher Chace erklärt, dass Geschichten nie einfach nur enden wie in Filmen. Es geht immer weiter und am Schluss erwartet uns alle sowieso dasselbe Schicksal. Für Paul steht zunächst die Hochzeit mit Martine an, die ihn aber weniger aus Liebe, sondern vielmehr aus Schuldgefühlen heiratet. Und natürlich geht das auf lange Sicht nicht gut. Auch beim jüngsten Getty nimmt mit der Zeit die Drogensucht die Überhand. Wer wissen will, wie das Ganze im wahren Leben ausging, der soll es einfach googlen, so der Erzähler.
Am besten endet die Geschichte für die Mafiosi. Primo lässt auf seine großen Worte große Taten folgen und investiert das Lösegeld in einen Hafen in Kalabrien. Wie er schon sagte: Er will Männer wie Getty nicht ausrauben, sondern Getty sein. Zuvor muss er aber noch ein paar Hindernisse aus dem Weg räumen, was dem Finale die nötige Mindestmenge Blut verleiht.
Das dramatischste Ende wird dem großen Patriarchen, dem alten Getty, zuteil. Nach der Befreiung seines Enkels scheint all das Glück, das er in seinem Leben hatte, aufgebraucht. Sein Plan, das prächtigste Museum der Welt zu bauen, das noch heute in Los Angeles stehende J. Paul Getty Museum, macht ihn zur Lachnummer. Seine Frauen verlassen ihn, wobei vor allem der Verlust der selbstbewussten Penelope (Anna Chancellor) schmerzt. Und sein Butler Bullimore, der ja eigentlich ganz anders heißt, kehrt ihm ebenfalls den Rücken. Getty sah sich stets als Reinkarnation des Imperators Hadrian, ein missverstandener Kaiser, der nur das Beste für Rom wollte. Am Ende muss er erkennen, dass er einem anderen Monarchen gleicht, dem verfluchten König Midas, der mit seiner Berührung alles zu Gold verwandelt und am Schluss verhungert.
Herrlich übertrieben und pathetisch wird Sutherland verabschiedet. Den emotionalen Höhepunkt liefert aber der Erzähler selbst, der als einziger aus den Fehlern des Stolzes gelernt zu haben scheint. Statt wie Getty in der Einsamkeit zu bleiben, springt er über seinen Schatten und fährt zu seiner Familie. Allein für diese letzte Mimik, die uns Fraser präsentiert, hätte er einen Emmy verdient. Was für eine Freude, ihm zuzuschauen! Und was für eine tolle Serie!
Wie versprochen, seht Ihr auf der nächsten Seite die zehn schönsten Szenenbilder der ersten Staffel „Trust“...
Die schönsten Szenenbilder der ersten Staffel „Trust“...
Oft sind es die Schauspieler, Regisseure oder Autoren, die eine Serie auf ein anderes Level heben können, doch im Fall von Trust haben eindeutig die Kameraleute Christopher Ross, Monika Lenczewska und Oliver Curtis den besten Job gemacht. Das gilt es nun zu zelebrieren, vor allem, weil ich beim Schauen ohnehin nicht anders konnte, als ständig Screenshots zu schießen. Besonderes Markenzeichen der Serie: eine schiefe Perspektive, die viele der bizarrsten Momente bildlich unterstützt. Vor allem bei meinem persönlichen Lieblingsbild ist kaum noch zu unterscheiden, ob es sich nun um einen Serienschnipsel handelt oder um ein Gemälde von van Gogh. Einfach atemberaubend!
Platz 10: Das Anwesen der Familie Getty
Platz 9: Eine Spritztour durch die Idylle Italiens
Platz 8: Ein Telefonat vor dem Pantheon in Rom
Platz 7: Getty Senior und seine Frauen
Platz 6: Primo und Fifty in den Ruinen Roms
Platz 5: Die Statue weist Gail den Weg
Platz 4: Martine vor dem Kolosseum
Platz 3: Weißes Auto im Schneesturm
Platz 2: Fletcher Chace zieht von dannen
Platz 1: Paul und Primo im Sonnenblumenfeld