Seit letzter Woche lädt Netflix erneut zur Audienz im nachgestellten Buckingham Palace, dessen modrige Wände einen erheblichen Anteil der vierten Staffel von The Crown beheimaten. Es ist die zweite und letzte Runde für den Cast um Oscargewinnerin Olivia Colman als Queen Elizabeth II, ehe sich die Besetzung ein letztes Mal ändert und ihre Kollegin Imelda Staunton den englischen Thron im Rahmen der finalen Staffeln besteigt, um von den späteren Jahren der Monarchin mit Rekordregentschaft zu erzählen. Neben der Königin stehen in der vierten Season der historischen Dramaserie vor allem zwei ungemein verschiedene Frauen im Vordergrund, die auf sehr unterschiedliche Art im geschichtlichen Gedächtnis Großbritanniens geblieben sind: die eiserne Lady und die Königin der Herzen.
Staffel vier beginnt Ende der 1970er Jahre, als beide Damen die sprichwörtliche Bühne des Weltgeschehens betreten. Margaret Thatcher wird als erste Frau zum Prime Minister des Landes gewählt und macht noch Jahre später durch ihre neoliberale, unsoziale Sparpolitik, die seither als Thatcherism bezeichnet wird, von sich reden. Beim sensationellen Stunt-Casting von The X-Files-Star Gillian Anderson könnte man zunächst vermuten, die Serie meine es sehr gut mit der polarisierenden Politikerin. Allerdings nur so lange, bis man Zeuge ihrer schonungslosen, karikativen Performance wird, die halb Sternenkriegimperator Palpatine und halb „Suspiria“-Oberhexe Markos ist, aber eben kaum überzogener als John Lithgows Churchill und, wenn wir ganz ehrlich sind, auch nicht gerade Lichtjahre weit weg vom Original. „Eine komplizierte und kontroverse Frau“, wie Anderson diplomatisch sagte, die „ob sie geliebt wird oder verachtet, eine Ära definiert hat“.
Keine Waffe und kein Werkzeug aus dem Arsenal der Königsfamilie wirkt so grausam und einschüchternd wie Thatchers roter Filzstift, mit dem sie zunächst politische Gegner aus ihrem Kabinett streicht und den sie später dazu verwendet, die Commonwealth-Sanktionen gegen den rassistischen Apartheidsstaat in Südafrika zu behindern. Im bescheidenden Zuhause ist die Hardlinerin hingegen kaum ohne Schürze zu sehen, während sie ihrem sanftmütiger auftretenden Gatten Denis (Stephen Boxer), ihrem geliebten Sohn oder männlichen Parteikollegen aus erzkonservativer Überzeugung von geschlechtlicher Rollenverteilung englische Hausfrauenkost auftischt.
Etwas einfacher gestrickt wirkt auf den ersten Blick die von Emma Corrin gespielte Diana Spencer, die dem Prince of Wales (Josh O'Conner) trotz eines gewissen Altersunterschieds schöne Augen macht und nach einem der berüchtigten Beschnupperungsbesuche in Balmoral Castle vom Rest der Familie abgesegnet wird. Eine Disziplin, in der sich die unadelige Thatcher und ihr bodenständiger Mann übrigens weniger galant anstellen. Wer seit den 80ern die Klatschpresse verfolgt hat, weiß natürlich längst, wo das Problem liegt: Thronfolger Charles ist in Wirklichkeit in die verheiratete und somit unmöglich in die Familie integrierbare Camilla Parker Bowles (Emerald Fennell) verliebt, zu der er einen guten Draht und eine innige Verbindung hat. Anders als zur jungen Diana, die noch viel jünger wirkt als sie eigentlich ist und überhaupt nichts mit dem kultivierten Kronprinzen gemeinsam hat. Er ist Oper, sie „Phantom der Oper“.
Ein Großteil der vierten Staffel beschäftigt sich mit der langsam, aber sicher scheiternden Ehe des vermeintlichen Traumpaars, die von Anfang an unter keinem guten Stern stand. Neben der fehlenden Liebe zwischen den beiden wird durch das Schicksal der für ihr Umfeld viel zu offenherzigen Diana abermals deutlich, wie repressiv und lieblos das royale Gesellschafts- und Familiensystem der Windsors sein kann, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt, denn eine Scheidung kommt für den zukünftigen König nicht infrage. Vor allem nicht, wenn es nach der alles entscheidenden Schwiegermutter mit der Krone und dem Sagen geht. Eine vertrackte Situation ohne Hoffnung für wahre Liebe, wie sie Party-Princess Margaret (immer noch ganz großes Kino: Helena Bonham Carter) nur allzu gut aus früheren Folgen kennt.
Newcomerin Corrin steht dem Rest des hochkarätigen Casts in nichts nach und gibt eine herzzerreißend naive Diana zum Besten, die aus der königlichen Familie heraussticht wie die normschöne Marilyn Munster aus dem Rest ihrer klassischen TV-Horrorsippe, die kaum gruseliger wirkt als die Windsors. Nur eine Sache hätte man besser machen können: Wäre es so schwierig gewesen, der Princess of Wales ein paar Einlagen zu geben oder irgendwie anders zu tricksen? Diana war im wahren Leben gleichgroß (wenn nicht sogar einen Tacken größer) als Charles, was in offiziellen Paaraufnahmen gern kaschiert wurde und hier hervorragend in die Komplexe ihres Gatten hineingespielt hätte. Stattdessen wird einfach das schadhafte Film- und Fernsehdogma vom Mann, der stets größer sein muss als seine Frau, reproduziert.
Josh O'Conners Charles hat wohl die größte Veränderung zwischen den Staffeln durchgemacht. Seine Darstellung als Sensibelchen der Familie passt sich immer mehr dem gewollt gestelzten Gehabe von Tobias Menzies' Prince Philip an, der immer noch gruselig nah am Original ist. Die Frustration über seine Ehe rührt nicht nur daher, dass er Camilla als Partnerin vorziehen würde, sondern vor allem auch davon, dass die populäre Diana sämtliche Zuneigung der Weltöffentlichkeit für sich einnimmt. Dass sie dafür innerhalb der Familie umso mehr leidet und sogar unter schonungslos abgebildeter Bulimie leidet, sieht er kaum, obwohl sogar die Presse längst über ihre psychischen Probleme und Kompensationsaffären berichtet.
Nicht mehr viel haben wir leider von Charles Dance als Earl Mountbatten aka Dickie, dem Großonkel und Mentor von Charles. Er wird im August 1979 und gleich zu Beginn der neuen Staffel mit einer Bootbombe von Terroristen der IRA getötet, die ihn als imperialen Invasoren Irlands ansehen. Ein historisches Ereignis, das ruhig noch etwas mehr von irischer Seite aus hätte erforscht werden können und nicht lange Thema bleibt. So fällt Mountbattens Tod im Rahmen der selektierten Serienhandlung kaum ins Gewicht, anders als im tragischen Fall einer anderen kostspieligen Produktion mit Königshäusern und Thronen, die sich nach dem Mord an Dance' adeliger Serienfigur kaum noch erholt hat.
Der alles zusammenhaltende Kitt ist und bleibt aber Queen Colman mit ihrem großartigen Porträt der Elizabeth Windsor, über deren Schauspiel gar nicht genug Gutes gesagt werden kann. In Szenen mit der viel zu forschen Diana kommt ihre brutale Borniertheit zum Vorschein, in Streitgesprächen mit Thatcher ihre reservierte Kampfbereitschaft und in familiären Momenten die genau abgestimmte Prise Verletzlichkeit und Humor, wobei Colmans Comedy-Wurzeln herausstechen. Eine ihrer Highlight-Episoden (Fagan) befasst sich mit dem Vorfall, bei dem der arbeitslose Maler Michael Fagan (Tom Brooke) im Jahr 1982 in ihr Schlafzimmer eingebrochen ist, was bereits in der Anthologieserie „Playhouse Presents“ mit Emma Thompson als Queen zum Thema geworden war. Bis heute weiß niemand, worüber er im wahren Leben (wenn überhaupt) mit der Königin gesprochen hat. Hier reden sie über Thatcher und darüber, wie ihre Sparpolitik das Land kaputtmacht. Hätte es ein solches Treffen zwischen Adel und verarmtem Untertan nicht gegeben, hätte man es erfinden müssen.
Natürlich ist und bleibt „The Crown“ zu einem gewissen Anteil Fanfiction von Serienschöpfer und Royals-Fanboy Peter Morgan, dem aber, je später die Serie, immer mehr Zähne zu wachsen scheinen, wenn es um beißende Kritik am Königshaus und der Monarchie geht. Besonders schockierend und informativ ist die siebte Episode der Staffel mit dem Titel The Hereditary Principle, in der Princess Margaret im Rahmen ihrer schon lange fälligen Psychotherapie die Entdeckung mehrerer Familienmitglieder mit geistiger Behinderung macht. Sie wurden offiziell für tot erklärt und in einem Sanatorium versteckt, um nach dem Abdanken von Edward VIII keine Zweifel an der Legitimation und Stärke der Blutlinie aufkommen zu lassen. Dabei müsste auch den größten Royalisten die Spucke wegbleiben.
Trotz solcher Momente, in denen „The Crown“ sich kritisch äußert, lässt es sich die Serie nicht nehmen, die hochwohlgeborenen Hauptakteure in gewisser Hinsicht besser und progressiver dastehen zu lassen, als sie es vermutlich waren und sind. Wenn sich die Queen zum Beispiel rechtschaffen gegen Thatchers Politik ausspricht oder Margaret sich höchstpersönlich über die beiseite geschobenen Familienmitglieder empört. Elizabeth soll gerüchteweise tatsächlich Probleme mit der Premierministerin gehabt haben, hier werden aber offensichtlich ganz schön große Lücken auf sehr großzügige Art aufgefüllt... und am Ende hat es trotz allem doch für zwei hochgradige Orden für die Iron Lady gereicht.
In der finalen Folge erinnert Philip die aufgebrachte Diana während der Weihnachtsfeier daran, worauf sie sich eingelassen habe und was beziehungsweise wer das beziehungsweise die Wichtigste überhaupt sei. Vom framing und der Inszenierung her kommt das nicht nur als Perspektive des Prinzgemahls rüber, wenn wir die Queen dabei im kirchlichen Setting mit andächtiger Musik und geradezu heiligem Licht sakral in Szene gesetzt sehen. Ein klein bisschen möchte die Serie ihr dann halt doch wieder die gottgegebene Legitimation, über andere zu herrschen, zusprechen. Wenn die Leute hinter der Serie sich schon nicht als ausgewaschene Royalisten und Royalistinnen identifizieren, sind sie doch zumindest royalist curious. Vermutlich ist es aber genau diese paradoxe Hassliebe zur Monarchie und den Mitgliedern der Königsfamilie, die das Format mit Spannungsfeldern versorgt und interessant macht.
Fazit
The Crown zu schauen bleibt auch in der vierten Staffel eine verblüffende bis bizarre Erfahrung, bei der man sich oft fragt, wie ehrlich die Serie mit geschichtlichen Fakten umgeht oder wie hart sie mit der Monarchie ins Gericht gehen müsste. Trotzdem fällt es schwer, sich diesem Kronjuwel einer Serie zu entziehen. Die hochwertigen Kostüme und Sets sind wie immer der reinste Ausstattungsporno, der 80er Soundtrack bringt selbst unterkühlte Blaublütige in Wallung und der durch die Bank weg hochkarätige Cast scheint tatsächlich von Gottes Gnaden besetzt worden zu sein. Mit Diana und Thatcher werden der königlichen Colman in dieser Season zwei historische Schwergewichte entgegengestellt, die sehr unterschiedliche Seiten ihrer fiktionalisierten Serienpersona hinter der Fassade hervorlocken. Newcomerin Corrin entpuppt sich als echter Gewinn in der Rolle der Lady Di, aber es ist vor allem Gillian Anderson, die enorm extravagante Entscheidungen bei ihrer karikativen Darstellung der Iron Lady trifft, was dem vierten Kapitel der Königshaus-Chroniken die Krone aufsetzt und zu einer der bisher unterhaltsamsten und unvergesslichsten Staffeln macht.
Hier abschließend noch der Trailer zur neuen Staffel: