Ein Rückblick auf die Zwänge, Neurosen und Phobien des Detektivs Adrian Monk
SJ-Therapie 1x16: Monk, der geniale Zwangsneurotiker
Vor rund 15 Jahren präsentierte der Kabelsender USA Network mit dem Crimeprocedural Monk einen Fernsehdetektiv, wie ihn die Welt noch nie zuvor gesehen hat: pedantisch, ängstlich und alles andere als heldenhaft. Dennoch sollten ihm die Zuschauer schon bald zu Füßen liegen, was wohl nicht zuletzt auf die charmante Darbietung des Hauptdarstellers Tony Shalhoub zurückzuführen war. Der größte Verdienst der Serie, die zwischen 2002 und 2009 auf insgesamt 125 Episoden in acht Staffeln kam, war jedoch ein anderer: Sie machte viele Amerikaner erstmals auf das psychische Phänomen der Zwangsstörung aufmerksam.
Eine Zwangsstörung beschreibt das Ausgeliefertsein einer Person gegenüber sich ständig wiederholenden Mustern im Verhalten und Denken. Der Polizeiberater Adrian Monk leidet unter einer solchen Störung - und sie hat zur Folge, dass er wie besessen versucht, seine Umwelt zu säubern und zu ordnen. Darüber hinaus plagen ihn unzählige Phobien: Angefangen bei Keimen und Schlangen über enge Räume und hohe Häuser bis hin zu Zahnärzten und Milchprodukten - um nur eine Handvoll zu nennen (alles in allem sind es wohl 312). Bei seiner Arbeit als Ermittler stehen ihm diese Ängste und Zwänge selbstverständlich oft im Weg und sie sind auch der Grund, wieso er vor vielen Jahren seine Marke abgeben musste.Monk neigte zwar schon immer zu besonderer Ordnung und Sauberkeit - immerhin wuchs er, wie wir im Verlauf der Serie lernen, in einer Familie auf, die genauso tickte wie er -, doch wirklich pathologisch wurde sein Verhalten erst nach dem plötzlichen Tod seiner Frau Trudy (Melora Hardin). Sie war sein Ein und Alles und als sie starb, verlor er jeden Halt. Mit viel Liebe für die Figur versuchte der Serienschöpfer Andy Breckman, der zahlreiche Facetten des Charakters angeblich bei sich selbst abschaute, die Tragik im Leben des Adrian Monk adäquat zu porträtieren. Häufig ging es allerdings auch ziemlich albern zu - und hin und wieder wurde Monks Krankheit sogar als Quell von Witzen missbraucht.
Gedanken und Handlungen
Bei der Zwangsstörung, die im Englischen als obsessive-compulsive disorder beziehungsweise als OCD bezeichnet wird, gibt es drei Grundformen: Erstens eine Störung, die hauptsächlich durch Zwangsgedanken geprägt ist, zweitens eine, die sich in Zwangshandlungen ausdrückt und drittens eine Mischung aus beidem. In den meisten Fällen ist es die Mischform, unter der die Betroffenen (etwa 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung erkranken im Lauf des Lebens) leiden. Die ersten Symptome zeigen sich häufig schon in der Kindheit oder frühen Jugend. Doch viele versuchen alles, um die Krankheit zu verheimlichen. Nicht so Monk.
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Typische Zwangsgedanken umfassen Befürchtungen („Habe ich den Herd ausgeschaltet?“), aggressive Ideen („Was, wenn ich mein Kind verletze?“) und Zweifel („Werde ich die Klausur bestehen?“). Hinzu kommen Grübelzwänge - die so gut wie nie zu irgendeinem konstruktiven Ergebnis führen -, Zählzwänge - bei denen es überhaupt keine Rolle spielt, was gezählt wird - und Wiederholungen in Form von ritualisierten Gedanken. Oft herrscht dabei die Fehlannahme, dass bereits das Denken selbst auf magische Art und Weise Auswirkungen auf die Umwelt haben kann.
Bei den Zwangshandlungen ist die Sinnhaftigkeit für Außenstehende nicht weniger unverständlich - tatsächlich widersprechen sich viele Verhaltensweisen sogar: Zum Beispiel kann ein Betroffener Todesangst vor dem Autofahren haben und gleichzeitig Kettenraucher sein. Typisch sind Reinlichkeitszwänge (ständiges Händewaschen), Kontrollzwänge (wiederholtes Prüfen der Türschlösser), Ordnungszwänge (absolute Symmetrie als Schönheitsideal), Berührungszwänge (Laternen nicht nur zählen, sondern gleich auch anfassen) und verbale Zwänge (unentwegtes Aufsagen des immergleichen Satzes). Auf den ersten Blick können diese Symptome zunächst bloß wie kleine Macken wirken, doch bedenkt man, dass sie ohne Unterbrechung und teils ein Leben lang auftreten, erscheint das Ganze deutlich tragischer.
Probleme und Chancen
Zum Glück gibt es Möglichkeiten, Zwangsstörungen unter Kontrolle zu bringen - und die beste heißt natürlich Psychotherapie. Vorher muss jedoch eine wichtige Frage geklärt werden: Leidet der Patient tatsächlich unter einer Zwangsstörung oder handelt es sich um eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung? Als Laie mag man hier keinen Unterschied erkennen, doch während man sich das eine als echte Krankheit vorstellen kann, muss das andere vielmehr als unauslöschbare Facette des Betroffenen betrachtet werden. Menschen mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung empfinden ihre Zwänge nämlich als Teil ihrer selbst und somit als von innen kommend (ich-synton). Und die eigene Persönlichkeit lässt sich nicht heilen...
Bei der Behandlung von Zwangsstörungen setzen Psychiater und psychologische Psychotherapeuten indes auf die kognitive Verhaltenstherapie (kurz: KVT). Diese verfolgt anders als die klassische Psychoanalyse einen sehr konkreten und praxisbezogenen Ansatz. Der Therapeut versucht, den Patienten auf dysfunktionale Verhaltens- und Gedankenmuster hinzuweisen und macht Vorschläge zur Veränderung. Häufig kommt es dabei auch zur sogenannten Exposition, wo die Betroffenen in einem sicheren Rahmen mit ihren größten Ängsten konfrontiert werden. Dr. Kroger (Stanley Kamel), Monks erster Therapeut, arbeitet nicht mit der KVT. Stattdessen führt er mit ihm eine Gesprächstherapie nach dem Vorbild des berühmten Psychologen Carl Rogers durch, die bei Zwangsstörungen deutlich weniger bewährt ist, aber dafür wenigstens schöne Momente für die Serie bietet.
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Die Erfolgsaussichten der Therapie bei einer Zwangsstörung schwanken zuweilen stark, was auch darauf zurückzuführen ist, dass die Krankheit bei jedem Patienten anders zustande kommt. Am wichtigsten ist es, so früh wie möglich einzuschreiten, bevor sich die Zwänge manifestieren können. Entscheidende Faktoren können die Erziehung, traumatisierende Erfahrungen, die Persönlichkeit und sogar das genetische Erbe der Person sein. Oftmals wachsen Kinder mit Zwangsstörungen bei Eltern auf, die selbst ähnliche Verhaltens- und Denkweisen zeigen. Zwangsgestörte Eltern neigen zum Beispiel zu einer Überbehütung des Kindes, zu starker Reinlichkeit und hohen Ansprüchen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, bei der Therapie die gesamte Familie einzubeziehen, die in vielen Fällen gar nicht merkt, wie sehr die Zwangsstörung eines Mitgliedes den Alltag aller bestimmt. Für die Therapeuten selbst ist das Ganze auch ein Kampf, da Zwangserkrankte immer wieder in alte Muster zurückfallen und teilweise den Eindruck erwecken, sich gar nicht ändern zu wollen.
Tragik und Humor
Bei Adrian Monk ist es genauso: In der emmynominierten Episode Mr. Monk Takes His Medicine (3x9) kommt es zwischen ihm und Dr. Kroger zu folgendem, mehr als eindrücklichen Dialog:
Monk: „Das ist nicht das Leben, das ich mir vorgestellt hatte. Es ist nicht zum Aushalten. Wissen Sie, dass ich fast jeden beneide? Fremde Leute auf der Straße - ich beneide sie alle.“
Dr. Kroger: „Vielleicht beneiden die Sie auch. Sie sind außergewöhnlich.“
Monk: „Ja, aber ich will nicht außergewöhnlich sein. Ich will ein normaler Kerl im Bus sein, der um Fünf nach Hause fährt und mit seinen Kindern spielt. (…) Ich bin einfach müde. Es ermüdet mich, ich zu sein. (…) Sehen Sie mich an! Ich bin hilflos. Ich bin lächerlich. Ich bin nichtmal ein Mensch. Ich bin nur eine kaputte Maschine.“
Im späteren Verlauf der Episode verschreibt Dr. Kroger - der sich hier einmal mehr leider ziemlich ungeschickt anstellt - seinem verzweifelten Patienten ein neues Medikament, das wie durch ein Wunder sämtlichen Zwängen und Phobien den Garaus macht. Und für kurze Zeit ist Monk tatsächlich ein glückliches und unbeschwertes Leben vergönnt. Doch dann muss er einer ernüchternden Wahrheit ins Auge sehen: Ohne seine Zwangsstörung ist er nicht mehr er selbst und wenn er sich nicht länger auf Details fixiert, die alle anderen übersehen würden, verliert er auch seine besondere Gabe als Meisterdetektiv. Eine äußerst deprimierende und obendrein fragwürdige Sicht der Dinge - und dies ist nicht das einzige Mal, dass die Serie etwas unsensibel mit der doch sehr tragischen Thematik umgeht.
Viele Menschen beklagen, dass in Monk die Zwangsstörung für Witze herhalten muss oder dafür, um die Hauptfigur sympathischer zu gestalten. Jerrilyn Ross, die ehemalige Chefin der Anxiety and Depression Association of America lobte die Serie dennoch dafür, dass sie dem Thema zumindest ein Forum schenkte und die Krankheit ein Stück weit „demystifizierte“. Und eines muss man Breckman und seinen Kollegen wirklich lassen: Die Figur selbst wurde bei ihnen nie zum Gespött gemacht, denn dafür lag sie ihnen viel zu sehr am Herzen. Wer eine dramatischere Darstellung der Krankheit sehen will, der wird wohl eher bei der Girls-Protagonistin Hannah Horvath (Lena Dunham) fündig. Doch wir vergessen trotzdem nie, welche Serie die Welt als erste auf Zwangsstörungen aufmerksam machte.
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