Maniac: Review der Pilotepisode
Maniac: Review der Pilotepisode
Inklusive Ausblick auf die erste Staffel
Owen Milgrim ist mit der Gesamtsituation in der Netflix-Serie Maniac unzufrieden. Doch sein für andere unsichtbarer Bruder verspricht ihm, dass bald alles besser wird, wenn er auf geheimer Mission ein Labor unterwandert, in dem ein Medikament und ein Verfahren getestet wird, welches die Geheimnisse des Gehirns entschlüsseln und alle psychischen Probleme kurieren soll. Doch kann das wirklich so einfach sein und was hat es mit seiner unbestreitbaren Verbindung zu Mitprobandin Annie (Emma Stone) auf sich?
The Patern is The Patern
Der Trübe Alltag von Owen und seine psychische Labilität machen ihn nicht gerade zu einem sprudelnden Quell der Lebensfreude, was auch noch durch den Erwartungsdruck seiner Familie verschlimmert wird: Er soll vor Gericht das Alibi seines Bruders (Billy Magnussen) bestätigen, dem ein Verbrechen sexueller Natur am Arbeitsplatz vorgeworfen wird. Dieser bestreitet das Ganze und verlangt von Owen unter marginal verhüllten Drohungen, dass er für ihn lügt.
Am liebsten würde Owen vor dem Prozess einfach davonlaufen, da kommt ihm der Rat seines imaginären Bruders (Billy Magnussen mit Bart) gerade recht, vor Beginn des Prozesses eine Weile unterzutauchen und sich auf eine Mission in ein Labor zu begeben, die laut diesem von großer Wichtigkeit ist. In Werbeanzeigen begegnet ihm auch das Gesicht seiner dortigen Kontaktperson Annie, mit der er in einer gemeinsamen Testreihe landet, die sie laut den leitenden Forschern Dr. Muramoto (Rome Kanda) und Dr. Fujita (Sonoya Mizuno) von allen psychischen Malaisen kurieren soll.
Dabei soll ihnen ihr Supercomputer helfen, der jederzeit über seine Patienten wacht und der ganz bestimmt niemals irgendeine Art von Problemen verursachen wird und bei dem somit absolut nichts schiefgehen kann. Ob sie diese Versprechungen halten können, wird sich schon bald herausstellen, denn der Ausflug in die Psyche ihrer Patienten und die Dekonstruktion ihrer Selbstschutzmechanismen hat gerade erst begonnen. Owen kommen zunächst einige Zweifel, als Annie nicht auf das Codewort reagiert, doch glücklicherweise gibt sie sich doch zu erkennen und seine Mission, wie auch immer diese aussehen mag, kann endlich starten.
Ambitionen und Neuronen
Schon von der ersten Minute an lässt sich dem Patienten zweifelsfrei attestieren: Maniac ist anders. Für diese simple, aber treffende Diagnose muss man kein Experte sein, denn selbst ohne die noch kommenden Traum- und Bewusstseinssequenzen dreht die Serie direkt an den Schrauben der Skurrilität und Kreativität. Das retro-futuristische Design der Welt von Owen (Jonah Hill) und Annie (Emma Stone) und die Gestaltung der Charaktere weckt ein Potpourri an Erinnerungen in Richtung diverser Filme wie Terry Gilliams „Brazil“ oder auch „Blade Runner“ mit einem Schuss Legion, entwickelt aber dennoch seinen ganz eigenen Charakter.
Viele Details erwecken die Visionen von Regisseur Cary Joji Fukunaga (True Detective) und Autor Patrick Somerville (The Leftovers) zum Leben, die allesamt einen realistischen Touch ihr Eigen nennen. So zum Beispiel der Ad-Buddy, eine Person, die sich zu einem setzt und einem mit personalisierter Werbung auf die Nerven geht, wofür man im Gegenzug dann eine Gutschrift bekommt. Oder die niedlichen kleinen Kehrroboter, die Annie kurzum „Little Shit Eaters“ tauft. Das alles steht im Einklang mit dem ansprechenden Setdesign, was unterm Strich eine glaubwürdige Welt vermittelt, hinter der man viel mehr vermutet, als man zu sehen bekommt. Fukunaga beweist dabei sein Auge für aussagekräftige Bildkompositionen und schafft es im Einklang mit dem Cast und der Crew, allein optisch viele bleibende Eindrücke zu kreieren.
Ambivalenz und Neurosen
Als ob Protagonist Owen mit Schizophrenie und Depression noch nicht genug zu kämpfen hat, entwickelt er auch einige tendenziell bei introvertierten Menschen auftretende Probleme wie mangelndes Selbstbewusstsein und Durchsetzungsprobleme, die von seiner fordernden Familie, die bis auf wenige Ausnahmen eine Ansammlung äußerst unangenehmer Menschen zu sein scheint, nur weiter angeheizt werden. Annies Geschichte, die vor allem in der nächsten Episode intensiver zur Geltung kommt, wird dabei mehr von trockenem Humor trotz offensichtlicher Tragödien in ihrem Leben begleitet. Die erste Episode der Miniserie, die übrigens auf einem norwegischen Format basiert, sich dem gegenüber jedoch einige Freiheiten nimmt, leistet überwiegend Aufbauarbeit und man legt als erste Impression nur einen Bruchteil der abgedrehten Ereignisse und Bilder auf den Tisch, die noch auf einen warten.

Was steht uns noch bevor? (spoilerfrei ohne konkrete Details)
Maniac gibt sich während seines Auftakts vergleichsweise zahm, nimmt aber, sobald es ein wenig später in das Bewusstsein der Charaktere geht, deutlich an Fahrt auf. Zu diesem Zeitpunkt drehen alle latent vorhandenen Eigenschaften der Serie auf: Es wird bizarrer, surrealer, dramatischer, humorvoller, absurder und beizeiten auch brutaler. Dabei geschehen nur wenige Dinge, die einzig aus dem Grund eingestreut werden, um den Zuschauer zu verwirren und das Gesehene verrückter wirken zu lassen. Denn die meisten Traumsettings, Charaktere, Metapher und Geschehnisse ergeben im Gesamtbild einen nachvollziehbaren Sinn und erfüllen auf dem Weg der Selbstfindung der Figuren einen Zweck. Man kann sich also getrost von dem beträchtlichem Anteil an obskuren und skurrilen Inhalten an der Oberfläche treiben lassen, denn darunter befindet sich ein gut durchdachter emotionaler Kern auf den es letztendlich hinausgeht. Zudem sind die Episoden gerade im Mittelteil mit einer Laufzeit von 26 bis 44 Minuten sehr kurzweilig. Dabei verzichtet man darauf, den Zuschauer mit explizitem Verschwimmen von Realität und Einbildung zu verwirren, hat aber trotzdem noch ein paar Tricks und kleine Twists auf Lager.
Themen wie Traumabewältigung, Selbstvertrauen, Selbstfindung, Einsamkeit, aber vor allem auch menschliche Nähe im Kontrast zu formelhafter Wissenschaft dominieren die Erzählung von Owen und Annie, die sich mit ihren sehr unterschiedlichen Wesenszügen doch irgendwie ergänzen. Jonah Hill und Emma Stone versprühen dabei genug von ihrem reichhaltigen Charisma, um die Serie zu tragen. Apropos Charisma: Nach kurzer Zeit stößt außerdem Justin Theroux als James Mantleray dazu und liefert eine der seltsamsten, aber gleichzeitig auch interessantesten Performances an der Seite von Sonoya Mizuno, die an Eigenheit schon kaum überboten werden kann, ab - was im Kontext von „Maniac“ eine Menge bedeutet.
Als kleinen Schwachpunkt könnte man benennen, dass mit den Traumwechseln auch gleichzeitig sprunghaft die Tonart der Serie wechselt, was dementsprechend relativ oft passiert. Das erweckt den Eindruck, dass man am liebsten auf allen Hochzeiten tanzen will, ohne sich ausgiebig auf eine Richtung zu konzentrieren - und somit manchmal mehr will, als letztendlich geliefert werden kann. Zudem ist bei der an manchen Stellen vielleicht etwas überambitionierten Ausführung und einzigartig schrägen Machart vorprogrammiert, dass dies die Zuschauer spalten kann und manchen entweder zu stark gewollt rüberkommt oder generell einfach nicht zusagt. Doch wer sich auf den extravaganten Trip einlässt, bekommt eine spannende Reise und einen sehr zufriedenstellenden Abschluss geboten.
Fazit
Die Pilotepisode von Maniac leistet viel Aufbauarbeit und bereitet einen mit einem einzigartigen Setting auf eine absurde Reise mit skurrilen Figuren und surrealen Ereignissen vor. Der allgemeine sehr ambitionierte Stil könnte zwar so manchen erschrecken, doch es bekommt jeder, der sich auf diesen Trip einlässt, eine Serie mit individueller Handschrift geboten. Sie traut sich und ihren Zuschauern einiges zu und ist gespickt mit Metaphern, Selbstironie und Humor, widmet sich aber gleichzeitig einerseits sowohl ernsten und dramatischen als andererseits auch herzerwärmenden Themen, ohne einen trotz beträchtlicher Tragweite damit zu überfrachten. Die Serie ist selbst ein Experiment, das unterm Strich erfreulicherweise geglückt ist und in der aktuellen Serienlandschaft eine willkommene Abwechslung darstellt.
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