Manche Netflix-Hits kommen völlig überraschend: Wer hätte am 8. Januar schon gedacht, dass ausgerechnet eine französische Eigenproduktion beim Streamingservice in der ersten Jahreshälfte 2021 weltweit die größten Wellen schlagen würde? Und doch gelang Lupin genau dieser Coup! Knapp 70 Millionen Menschen sollen dem Meisterdieb binnen vier Wochen nach der Premiere verfallen sein, inzwischen dürften es noch deutlich mehr sein. Nur The Witcher (76 Millionen Streams im ersten Monat) und Bridgerton (82 Millionen) liefen besser.
Lupin hat selbst den Hype rund um Haus des Geldes in den Schatten gestellt. Die spanische Serie brachte es in ihrer jüngsten Season immerhin auf 65 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. Lange Zeit galt „La Casa de papel“ als größter Netflix-Erfolg aus dem nicht-englischsprachigen Ausland. Nun trägt den Titel also das neuere Heist-Drama von den französischen Nachbarn.
Zu erklären ist die Beliebtheit von Lupin sicherlich auch, aber nicht nur, mit dem Charme des Hauptdarstellers Omar Sy („Ziemlich beste Freunde“). Die beiden Serienschöpfer George Kay und Francois Uzan dürfen sich ebenfalls auf die Schultern klopfen, denn sie haben einem alten Stoff, den der bekannten Romanfigur Arsene Lupin von Maurice Leblanc, neues Leben eingehaucht. So erreichten sie eine völlig neue Generation von Fans, nicht nur in Frankreich, sondern auf dem ganzen Globus.
Am vergangenen Freitag, den 11. Juni erschien nun Teil zwei von Lupin, mit den verbliebenen fünf Folgen der insgesamt zehnteiligen Auftaktstaffel. Die Handlung wird nahtlos fortgesetzt. Der clevere Held Assane Diop (Sy) kämpft um das Leben seines Sohns Raoul (Etan Simon) und fordert seinen Erzfeind Hubert Pellegrini (Herve Pierre) zum finalen Showdown...
Wie geht's weiter?
Lupin gönnt sich keinerlei Verschnaufpause, sofort ist die Spannung wieder bei 100 Prozent. Assane und Guedira (Soufiane Guerrab), der Polizist, der ihm auf die Schliche kam, jagen Leonard (Adama Niane), den Handlager von Pellegrini, der Raoul schon längst in seiner Gewalt haben könnte. Seine Mutter Claire (Ludivine Sagnier) muss sich derweil in Le Havre mit den Ordnungshütern auseinandersetzen, die den Schurken auf Befehl ihres korrupten Chefs Gabriel Dumont (Vincent Garanger) überhaupt erst haben laufen lassen.
Mit jeder Sekunde, die verrinnt, spürt Assane, dass dieser Tag zum schlimmsten seines ganzen Lebens werden könnte. Wenn er Raoul nicht rechtzeitig retten kann, hat er alles verloren. Plötzlich macht ihm das Katz-und-Maus-Spiel keinen Spaß mehr. Unterbrochen wird das Drama wie üblich durch Flashbacks in die Jugend des Protagonisten. Normalerweise sind solche Szenen stets willkommen, weil der Youngster Mamadou Haidara den jungen Assane so fantastisch porträtiert. Doch, wenn es im Haupthandlungsstrang derart drunter und drüber geht, stören sie ein bisschen.
An dieser Stelle noch mal zur Klarstellung: Wir besprechen hier alle fünf neuen Folgen von Lupin und kommen nicht um Spoiler herum. Dies ist also die letzte Warnung für diejenigen, die noch nicht auf dem aktuellen Stand sind!
Am Ende der ersten Episode des zweiten Teils sieht es so aus, als ob Raoul tatsächlich tot ist. Im Kofferraum eines Autos, das Leonard in die Luft sprengt, scheint der Junge auf grausamste Weise ums Leben gekommen zu sein. Assane ist am Ende. Lieutenant Sofia Belkacem (Shirine Boutella) kann ihn völlig ohne Gegenwehr festnehmen. Erst auf der Rückfahrt nach Paris ahnt der trauernde Vater, dass sein Sohn vielleicht doch nicht in dem Wagen war. Prompt trickst er sich gleich wieder in die Freiheit und düpiert abermals die Polizei. Sein Ziel ist nun Paris, wo er den Mann konfrontieren will, der an allem schuld ist: Pellegrini.
Nur die wenigsten Lupin-Fans dürften wirklich geglaubt haben, dass eine vergleichsweise familienfreundliche Netflix-Serie einfach so minderjährige Figuren in den Feuertod schickt. Trotzdem kann man Assanes Schmerz nachvollziehen, weil wir ihn selten zuvor so machtlos erlebt haben. Er ist eigentlich allen immer vier Schritte voraus, doch diesmal rennt er hinterher. In den neuen Folgen wirkt er längst nicht mehr so souverän, wie wir ihn kennengelernt haben. Leider bekommen wir dadurch auch weniger von seinen akribisch durchgeplanten Kunststücken zu sehen.
Dennoch sind wieder ein paar wunderbare Meisterdiebmomente mit dabei. Unterstützung kriegt Assane als moderner Lupin erneut von seinem Kompagnon Benjamin (Antoine Gouy). Später schließt sich den beiden überraschend ein gewisser Philippe Courbet (Stefan Crepon) an, der eigentlich für Pellegrini arbeitet. Bei der Spendengala im großen Finale sorgt der junge Mann dafür, dass das eingesammelte Geld tatsächlich dem angedachten Zweck zugutekommt und nicht auf dem Privatkonto seines Arbeitgebers landet. Aber auch die Bösen haben Verstärkung angeheuert, zum Beispiel den kaltblütigen Killer Pascal Oblet (Nicolas Wanczycki).
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Am Ende ziehen Pellegrini und Konsorten trotz ihrer Übermacht den Kürzeren gegen ihren klugen Gegner Assane. Besagte Charity-Veranstaltung bietet die perfekte Bühne, um all die Schandtaten des Milliardärs endlich offenzulegen, angefangen beim Versicherungsbetrug und beim damit verbundenen Mord an Assanes Vater Babakar (Fargass Assande). Mit dieser Geschichte ging ja alles los. Pellegrini wird verhaftet - genauso übrigens wie Dumont - und Staffel zwei braucht wahrscheinlich einen neuen Schurken. Oder wird sich nun Juliette (Clotilde Hesme) wiederum für den Sturz ihres Vaters an Assane rächen wollen?
Das bleibt abzuwarten. Zunächst muss Assane ohnehin erst mal die Stadt verlassen. Mit seinem spektakulären Auftritt und der Entlarvung Pellegrinis hat er für sehr viel Aufsehen gesorgt und gleitet schließlich triumphierend mit einem Boot über die Seine. Auf Raouls Brücke, so genannt, weil er und Claire hier einst den Namen ihres Sohns fanden, verabschiedet er sich erleichtert von seiner Familie. Und obwohl Assane sie alle so sehr in Gefahr gebracht hat, scheint selbst seine Exfrau seine Rückkehr sehnlichst zu erwarten. Vielleicht verlieben sie sich wieder ineinander...
Wie ist es?
Die zweite Hälfte der ersten Staffel von Lupin schließt bei Netflix lückenlos an Teil eins an. Fast wirkt es so, als wären beide Parts zusammengedreht worden, was durchaus möglich ist, wenngleich es im März 2020 wegen der Corona-Krise zu einer längeren Produktionspause kam. Auf jeden Fall können wir uns glücklich schätzen, dass der charismatische Meisterdieb wieder da ist. Zwar geht es diesmal nicht ganz so unbeschwert zu, wie damals in der Anfangszeit, als wir ihn und seine unglaublichen Fähigkeiten kennenlernen durften, doch sein Genie scheint auch in größter Bedrohung immer wieder durch.
Wie üblich besteht das Problem, dass Omar Sy alle anderen in der Serie überstrahlt. Vor allem Ludivine Sagnier alias Claire und Soufiane Guerrab alias Guedira kommen in den neuen Folgen etwas zu kurz. Die Handlung ist so vollgestopft, dass einfach keine Zeit mehr bleibt. Und auch, wenn ich keine Sekunde mit Assane und seinen Abenteuern missen wollen würde, wäre etwas mehr Balance gut gewesen. Denn letztendlich leidet auch die Charakterisierung der Hauptfigur darunter, wenn die Nebencharaktere und ihr Verhältnis zum Protagonisten zu wenig beleuchtet werden.
Darüber, dass bei Lupin nicht immer alles ganz realistisch verläuft - wenn Assane beispielsweise den Handycode eines Mannes errät, indem er ungefähr sein Alter abschätzt -, ärgert sich hoffentlich niemand mehr. Zumindest wäre es dann fragwürdig, die Serie überhaupt so weit zu schauen. Zumal wir es mehr mit einer Superheldengeschichte zu tun haben. Assane ist in seinem Können ganz klar übermenschlich, was dafür sorgen kann, dass wir uns niemals wirklich um ihn sorgen müssen. In dieser Hinsicht schneidet der neue Teil zwei sogar besser ab als der Auftakt im Januar, denn nun kommt der Held zum ersten Mal so richtig ins Straucheln.
Einzig beim Tempo haben sich die Showrunner George Kay und Francois Uzan vielleicht ein wenig verkalkuliert. Einerseits wirkt die Auflösung ziemlich überstürzt, andererseits wurde gegen Ende immer klarer, dass das Kapitel Pellegrini endlich abgeschlossen werden muss. Mehr Episoden hätten der französischen Netflix-Serie vermutlich gut getan (genauso wie den Fans). In Zukunft sollte Lupin möglicherweise eine Procedural-Form in Betracht ziehen, mit abgeschlossenen Einzelfällen für jede Folge. Ein alles dominierender Big Bad muss es vorerst nicht wieder sein...
Hier abschließend der Trailer zum 2. Teil von Lupin: