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Im Kern ist die kürzlich abgesetzte NBC-Serie Hannibal die Liebesgeschichte ihrer beiden Protagonisten Will Graham (Hugh Dancy) und Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen). Das wurde bisher in keiner Episode so deutlich wie in Digestivo. Hannibal trägt darin seinen Seelenverwandten auf den Händen, am Ende ergibt er sich der Polizei, um für Will auffindbar zu bleiben: „I want you to know where I am.“

Smells like salvation

Zwischen dieser letzten Szene und dem Anfang in Florenz liegt eine Episode, die sich von der bisweilen schwer verdaulichen Überästhetisierung (die auch der schwermütigen Regie Vincenzo Natalis geschuldet ist) verabschiedet und ihre Geschichte ungewohnt stringent vorantreibt. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns von den fantastischen Horrortableaus der bisherigen Episoden verabschieden müssen. Geht es um gruselige set pieces, kann Digestivo problemlos zu den furchteinflößendsten Folgen gezählt werden.

Zu Beginn sehen wir, worüber wir bislang nur spekulieren konnten. Hannibal und Will, am Ende der letzten Episode kopfüber an Mason Verger (Joe Anderson) ausgeliefert, geraten in die Gefangenschaft des Florentiner Inspektors, der sich gemeinsam mit seinen Kollegen das ausgeschriebene Kopfgeld auf die beiden sichern will. An Jack Crawford (Laurence Fishburne) hat Verger kein Interesse, weshalb ihn das gleiche Schicksal ereilen soll, das Hannibal eigentlich für Will vorgesehen hatte.

Die schusssichere Leibwächterin des Kannibalen weiß das jedoch zu verhindern - Chiyo (Tao Okamoto) braucht von Jack die Information, wo ihr Schutzbefohlener hingebracht wird. Wir wissen das natürlich - und werden fortan in einen deliriösen Albtraum gestürzt, der ein versöhnliches Ende vorsieht, auf dem Weg dorthin aber allerlei ekelerregende Überraschungen für uns bereithält. Zunächst kostet Mason Verger jeden Moment aus, der ihm mit seinen Gefangenen beschieden ist. Genüsslich lässt er seinen Leibarzt Cordell Doemling (Glenn Fleshler) referieren, was er alles mit ihnen vorhat.

Hannibal (Mads Mikkelsen) kann sich über die sonderbarsten Dinge freuen. © NBC

Das Großartige an diesen Szenen ist die Mimik, mit der Mads Mikkelsen die Reaktion seiner Figur interpretiert. Hannibal freut sich wahrlich über die offenkundige Expertise seines künftigen Peinigers. Dieser offeriert einen verstörenden Einblick in die unmittelbare Zukunft der beiden Geiseln. Zunächst würden Hannibals Arme und Beine abgeschnitten und ihnen zum Verzehr vorgesetzt. Hannibal würde währenddessen selbstverständlich am Leben gelassen, schließlich fungiere er als Reifemittel für die besten Teile seines eigenen Körpers: „Once you're dead, I'll prepare your loins and ribs, aged.“

You will always be cooked to perfection

Dieser gnadenlose Folterprozess werde jedoch erst in Gang gesetzt, wenn Cordell sein Meisterstück vollendet hat - die Gesichtstransplantation von Will zu Mason. Zunächst nimmt der zukünftig Gesichtslose diese Nachricht schulterzuckend hin, er fragt sich lediglich: „You're going to eat him with my face?“ Nachdem er darüber Bestätigung erhalten hat, lässt er seiner Blutlust aber freien Lauf und beißt Cordell in Erinnerung an Anthony Hopkins' Hannibal Lecter ein Stück Backe heraus. Nach diesem kurzen Gefühlsausbruch findet sich Will schnell wieder in seinem katatonischen Zustand ein.

Er bekommt noch einmal Besuch von Alana Bloom (Caroline Dhavernas), bevor er für den Eingriff vorbereitet wird (der übrigens ohne Änästhesie vorgenommen werden soll). Ihr gibt er einen wichtigen Ratschlag mit auf den Weg: „You have to spill blood.“ Den befolgt sie zwar nicht wortgetreu, unternimmt mit ihrer Liebhaberin Margot (Katharine Isabelle) aber doch einen erfolgreichen Befreiungsversuch. Sie und Margot schießen Hannibals Wachmann mit einem Betäubungsgewehr nieder, bevor sie den gebrandmarkten und wie ein Zuchtschwein gehaltenen Psychopathen befreien.

Während dieser bemerkenswert unnervös ablaufenden Befreiungsaktion schafft es Hannibal, die Schwester seines Peinigers zum Mord an ebenjenem zu überreden: „Mason will always deny you. You know you have to kill him.“ Nehme sie den Mord selbst vor, könne dies sogar eine positive therapeutische Wirkung auf sie haben. Und falls sie bislang noch nicht ausreichend Beweggründe dafür gesammelt haben sollte, dürfen sie und Alana entdecken, wo Mason ihre befruchteten Eierstöcke implantiert hat - in seinem besten Zuchtschwein.

Hannibal (Mads Mikkelsen) ist bereit; sich zu ergeben; um in Wills Nähe zu bleiben. © NBC

Ja, liebe Leser, das ist passiert. Während sich Cordell also anschickt, seinem Auftraggeber ein neues Antlitz zu verpassen, schneidet Alana einen toten Fötus aus dem Bauch eines Schweines. Im Folgenden werden diese abscheulichen Vorgänge dann aber zumindest halbwegs geradegerückt. Hannibal hält sein Versprechen an Alana, Will zu befreien, und lässt es sich dabei nicht nehmen, Mason das Gesicht von Cordell überzuziehen, ohne es fachgerecht zu befestigen. Masons blutverschmierte Visage ist die zweite eindeutige Referenz an den Hopkins'schen Hannibal.

We are a zero-sum game

Hannibal trägt seinen Seelenverwandten also eigenhändig in die schneeverwehte Freiheit, wobei er erneut schusskräftige Unterstützung von Chiyo bekommt. Sie konnte ihren Status als reines plot device in dieser Staffel bis zu diesem Zeitpunkt nicht ablegen, am Ende machen die Drehbuchautoren Steve Lightfoot und Bryan Fuller noch einmal einen halbherzigen Versuch, das zu ändern. Am Morgen nach den markerschütternden Ereignissen fragt sie Hannibal, ob er seine Schwester verspeist habe. Hannibal bestätigt das, bringt aber eine (für ihn, nicht für uns) wichtige Einschränkung an: „I didn't kill her.“

Ob wir Chiyo noch einmal sehen, darf bezweifelt werden. Immerhin bekommt sie einen netten Abschied, als sie sich von Hannibal mit den folgenden Worten trennt: „Some beasts cannot be caged.“ Welch wahre Worte von dieser schweigsamen Person. So wenig sie als ausgereifte Figur funktioniert hat, so gut funktioniert die on-screen-Liebesbeziehung zwischen Hannibal und Will. Diese erscheint äußerst einseitig, wenn Will sich mit folgenden Worten an seinen Peiniger-Slash-Retter wendet: „I miss my dogs. I'm not gonna miss you. I'm not gonna find you, I'm not gonna look for you. I don't wanna know where you are, or what you do; I don't wanna think about you anymore. Good-bye, Hannibal.“

Es ist ebendiese Beziehung und ihre Unüberwindbarkeit, ihre Unbedingtheit, die das größtenteils „pulpige“ Material der Romanvorlagen auf ein „Quality-TV-Level“ hebt. Mit Digestivo hat die Serie ihren bisweilen trägen Italien-Teil hinter sich gelassen und steuert nun auf die endgültige Konfrontation dieser schicksalhaft miteinander Verbundenen zu. Dabei stellt sich heraus: Die bisher kompromisslos eingesetzte visuelle Grandezza muss nur ein bisschen zugunsten der Plotentwicklung aufgeweicht werden - und schon bekommen wir die herausragende Serie, die Hannibal in den ersten beiden Staffeln war.

Trailer zur Episode „The Great Red Dragon“ (3x08) der US-Serie „Hannibal“: