Die neue Serie Graceland präsentiert seinen Zuschauern eine Reihe von potentiellen Super-Models, deren makellose Teints mit der Sonne Süd-Kaliforniens um die Wette strahlen. Doch die jungen Schönen, die gemeinsam ein eindrucksvolles Strandhaus bewohnen, sind weder die verwöhnten Sprösslinge irgendwelcher Investment-Banker, noch die Teilnehmer einer neuen Reality-Show: Johnny Tuturro (Manny Montana), Paul Briggs (Daniel Sunjata; Grey's Anatomy, „The Dark Knight Rises“), Charlie Lopez (Vanessa Ferlito) und die anderen arbeiten entweder für das FBI, die DEA oder den Zoll. Gemeinsam bilden sie eine Art Undercover-WG.
Der Neue und das Alphamännchen
An der Seite des frischgebackenen FBI-Agenten Mike Warren (Aaron Tveit) werden wir in die Feinheiten des ungewöhnlichen Wohnarrangements eingeführt. Sein neues, großräumiges Zuhause ist irgendwann durch das FBI beschlagnahmt worden. Die Elvis-Sammelleidenschaft des vorherigen Besitzers manifestierte sich in dem Namen „Graceland“, wo Warren nun in das frühere Zimmer eines DEA'lers einzieht, nachdem dieser im Dienst verwundet worden war.
Das unangefochtene Alpha-Männchen im Haus ist der FBI-Agent Paul Briggs. Seit der Überflieger und Ausnahme-Ermittler sich vor geraumer Zeit eine längere Auszeit genommen hatte, hat er seine vormals akkurate Art gegen ein Surfbrett und Rum getauscht, und ist überhaupt ein verdammt cooler Hund. Der Serienschöpfer Jeff Eastin sagt zwar in einem Interview, dass Graceland im Vergleich zu seinem „Meisterdieb meets FBI“-Drama White Collar „as real as possible“ und ungleich düsterer sein solle. Sonderlich lebensnah in dem neuen Format wirkt auf die Rezensentin jedoch lediglich der WG-interne Putzplan. Das „Wheel of Chores“ fungiert zwar als mehr oder weniger verlässliche Quelle für kleine Witzeleien, zum Beispiel wenn Briggs all seine leidlichen Aufgaben beiläufig an Warren delegiert. Doch die kleinen Gags können kaum darüber hinwegtrösten, dass die Abwesenheit einer verschwiegenen Putzfrau in diesem Haus auch nur ansatzweise plausibel sein könnte - zumal es den Agenten sogar gestattet ist, One-Night-Stands mit in das Haus zu bringen.
Aller Anfang ist schwer
Die DEA-Agentin Lauren Kincaid (Scottie Thompson) war die Partnerin von Warrens Vorgänger und will seinen Platz in der WG auch sprichwörtlich gegen Warren verteidigen: „This is my partners room!“ Auch der Zoll-Beamte Dale Jakes (Brandon Jay McLaren), der im Zuge einer klischeebehafteten Rastafari-Scharade in die Handlung eingeführt wird, möchte Mike zunächst nicht die Hand geben - so hat sich der Neuling doch tatsächlich an seinem Orangensaft vergriffen.
Mike Warren (Aaron Tveit) auf dem Weg in die Sonne in %26bdquo;Graceland%26ldquo; © USA Network
Leider kann die Mixtur aus Agentenleben und dem Alltag innerhalb der Wohngemeinschaft nicht überzeugen: Es ist zwar durchaus nicht unrealistisch, dass ein eingeschworenes Team dem Neuzugang erst einmal die kalte Schulter zeigt, bevor er sich ihrer Anerkennung als würdig erweist. Doch im Rahmen von Graceland wird dieses soziokulturelle Phänomen so schablonenmäßig abgehandelt, dass zu keinem Zeitpunkt ein natürlicher Vibe zwischen den verschiedenen Agenten aufkommt: Die ablehnende Haltung schlägt sofort nach Warrens erstem Erfolg in allgemeine Akzeptanz um.
Die zwischenmenschliche Interaktion der Agenten kann die Rezensentin auch sonst nicht in ihren Bann ziehen. Dafür sind die Agenten zu glatt und ihre Scherze zu konstruiert. Um Warren klarzumachen, dass die Zeit des theoretischen Arbeitens vorbei ist, wirft Briggs symbolträchtig und wenig authentisch dessen Notizbuch aus dem fahrenden Wagen. Coole Sprüche wie „The only thing I understand in Russian is „not tonight““ kommen hoch frequentiert zum tragen, können aber keinen natürlichen Dialog ersetzen. Das ist kein gutes Zeichen für eine Serie, die sich doch in erster Linie durch die besondere Figurenkonstellation von den vielen anderen Formaten im Segment der Elite-Ermittler abhebt.
Der undurchsichtige Briggs
Paul Briggs soll als Warrens Ausbilder agieren. Es wird derartig verkrampft versucht, Briggs als genialen Ausnahme-Ermittler zu profilieren, dass dem wichtigen Charakter jegliche Authentizität abhanden kommt. Er weiß intuitiv, wann er mit einer Waffe bedroht wird, kann richtig gut surfen und sich aus dem Stegreif auf locker-flockige Art und Weise das Script zu einem fiktiven Film über Undercover-Prostituierte ausdenken - während er von drei schwerbewaffneten Gangstern bedroht wird.
Sein fiktiver Film „Sunset Bust“ dient fortan als - nur bedingt lustiger - Running Gag und außerdem als Vorlage für ein improvisiertes Lügengespinst von Warren. So gerät Mike an seinem allerersten Tag durch eine Verkettung von - nur bedingt plausiblen - Zufällen inmitten in einen Einsatz, in dem er das Leben von einer unschuldigen Frau rettet, die samt ihrer Kinder von russischen Unterweltgrößen entführt worden ist. Durch sein cleveres Auftreten kann sich Mike nicht nur innerhalb der Hausgemeinschaft als fähiges Teammitglied beweisen. Gleichzeitig sichert er sich die Sympathie von Briggs, indem er dessen Falschaussage über die Waffe eines Verdächtigen deckt. Am Ende fällt diese wohlplatzierte Lüge Warrens gleich doppelt ins Gewicht, als Mike den wahren Grund für seine Stationierung in der WG erfährt: Er soll insgeheim Briggs selbst überwachen.
Witz und Spannung
Als wir Charlie Lopez (Vanessa Ferlito) in einer heruntergekommenen Junkiebehausung beobachten, kommt kurz und zum einzigen mal der düstere Flair auf, von dem der Serienerfinder Eastin gesprochen hatte. Als sich die „auf drogensüchtig gestylte“ Lopez danach in dem Agenten-Strandhaus herumtreibt, gerät sie zwangsläufig mit Warren aneinander - der sie für eine Einbrecherin hält. Alle anderen Beteiligten dürften allerdings wesentlich schneller bemerkt haben, dass es sich auch bei ihr um eine Agentin handelt. So bedrohen sich Warren und Lopez zwar kurzzeitig mit ihren Dienstwaffen - doch dieser kurze Einblick in die Risiken des Undercover-Daseins ist keineswegs spannend geraten und nur medium-witzig: „No guns downstairs!“
Mike Warren (Aaron Tveit) und Paul Briggs (Daniel Sunjata) in %26bdquo;Graceland%26ldquo; © USA Network
Oft verhindert die allgegenwärtige Coolness, dass es tatsächlich aufregend wird: So ist beispielsweise ein Raum in der luxuriösen Ermittler-WG für die diversen Telefonate reserviert, die die Agenten in ihrem beruflichen Alltag führen müssen. Die Tatsache, dass auch in diesem Zimmer neben mysteriösen Telefonaten in russisch auch stets ungezwungener Small-Talk geführt wird, entzieht dem Setting jegliche Bedrohlichkeit.
Amateure im Dienste des Staates
Die Arbeitsweise der Agenten in Graceland mutet oft zu improvisiert und stümperhaft an, um tatsächlich ernst genommen zu werden: Warren wird so nach einer extrem kurzen Einweisung ins kalte Wasser seines ersten Einsatzes geworfen, obwohl er scheinbar überhaupt keine Ahnung vom praktischen Tagesgeschehen eines Agenten hat. So ist er weder mit der neuesten Abhör-Technik vertraut, noch hat er von anderen grundlegenden Verhaltensweisen eine Ahnung. Die Ausbildung beim FBI ist scheinbar auch nicht mehr das, was sie mal war.
Nur der Zufall verhindert, dass Warren im Einsatz nicht von einem anderen Undercover-Kollegen erschossen wird. Dieser kleine Schönheitsfehler wird von Charlie ausgelassen mit den Worten „Danny almost shot Mike. That is crazy.“ kommentiert. Verrückt ist das in der Tat. Aber gleichzeitig auch das Resultat einer mehr als ungenügenden Vorbereitung.
Fazit
Warren macht in seiner Rolle des „smart new kid“ zwar keine unsympathische Figur. Gleichzeitig ist sein Mangel an Vorstellung davon, wie es im Alltag eines FBI-Agenten zugeht, aber zu eklatant um wahr zu wirken. Eingängige Sprüche („From this moment on your lies are your life.“) können keine lebensnahen Dialoge ersetzen und auch die eingeführten Charaktere können sich nach der Auftaktepisode noch nicht als erinnerungswürdig profilieren.
Der Cliffhanger, dass Warren zukünftig insgeheim gegen den großen Strahlemann Briggs ermitteln wird, bringt einen interessanten Twist in die braungebrannte Belanglosigkeit. Außerdem besticht die Kulisse Kaliforniens - bei der es sich in Wahrheit übrigens um Florida handelt - durch ihre sommerliche Lässigkeit. Wenn man den Agenten beim Surfen zusieht, schmeckt man beinahe das Salzwasser auf den Lippen. Die Kombination aus Manu Chao'esker Musik und dem generellen Flair von Californication lädt dazu ein, sich von den landschaftlichen und menschlichen Augenweiden berieseln zu lassen. Von Zeit zu Zeit gibt es dabei auch noch etwas zum Schmunzeln. Wer mit Abstrichen in Bezug auf Anspruch und Authentizität leben kann, darf bei einem Ausflug nach Graceland getrost die scharfkantigen Probleme der Realität gegen weichgespülte Gute-Laune-Ermittlungen eintauschen.