Wrestling. Dieses absurde Seifenoper-Spektakel, bei dem durchtrainierte Muskelberge wild durch einen Ring hüpfen und sich die Köpfe einschlagen. Natürlich nur als reine Show, denn echt ist in dieser „Sportart“ ja nichts. Die Kämpfe folgen einem Drehbuch, die Kontrahenten gleichen überzeichneten Stereotypen und Karikaturen, die Ringaction ist durchchoreografiert und ohnehin darf es gerne etwas trashiger zugehen. So sehen es die einen.
Andere sind Feuer und Flamme, wenn ihre liebsten Wrestlerinnen und Wrestler ein Feuerwerk der Unterhaltung abbrennen, nachdem sie sich mühsam vorbereitet und hart trainiert haben. Der Showgedanke steht im Vordergrund und Unterhaltung ist alles, doch das ändert nichts daran, dass hier professionelle Topathleten auf der Matte stehen, die mit ihrem „Schauspiel“ einer ganze Menge Menschen ungemein viel Freude bereiten.
Aber, wie man es auch dreht und wendet, bei den meisten Leuten hat Wrestling seinen Ruf längst weg. Umso spannender, dass sich Streaminganbieter Netflix nun im Rahmen seines Serienneustarts GLOW dieser Thematik annimmt und dabei den Nischencharakter dieses Sportes sogar noch auf die Spitze treibt. Was ist dieses „GLOW“? Eine halbstündige Dramedy über die „Gorgeous Ladies of Wrestling“, eine Gruppe von Frauen, die in den 80er Jahren Lust auf Wrestling hatten und beweisen wollten, dass dies keine reine Männerdomäne ist? Und daraus kann man tatsächlich eine Serie machen?
Man kann - und wie! Basierend auf dem wirklich existierenden Wrestlingprogramm „Gorgeous Ladies of Wrestling“ (kurz GLOW), das 1986 seine Premiere feierte und auf insgesamt fünf Staffeln kam, haben sich die beiden Serienmacherinnen Liz Flahive und Carly Mensch (beide stammen aus dem „Talentepool“ von Weeds- und Orange Is the New Black-Schöpferin Jenji Kohan, die hier als Executive Producer fungiert) dieser außergewöhnlichen Geschichte angenommen. In „GLOW“ geben sie nun einen Einblick in die glorreichen Anfänge des gleichnamigen Wrestlingformats, während wir eine ganze Reihe von verschiedenen fiktiven Charakteren auf ihrem Weg zu Ruhm und Erfolg begleiten.
Doch die Serie ist mehr als nur eine neonfarbene, mit einem herrlichen 80er-Jahre-Soundtrack aufgepeppte Geschichtsstunde. Flahive und Mensch, die sich ihre TV-Sporen bereits bei „Orange Is the New Black“ oder auch der HBO-Serie Nurse Jackie verdient haben, steht ein starkes Ensemble an Schauspielerinnen und Schauspielern zur Verfügung, deren Figuren ergründet werden wollen. Der Wrestlingsport dient dabei vielmehr als Mittel zum Zweck, ein Werkzeug, um die Motive, Ängste und Sorgen unserer Charaktere offenzulegen, sie aufeinderprallen und gemeinsam Herausforderungen überstehen zu lassen. Und es dauert nicht lange, da fiebert man auch schon mit ihnen allen mit, als würde man wie ein leidenschaftlicher Fan selbst am Ring stehen.
Im Zentrum steht dabei die von Alison Brie (Community, Mad Men) gespielte Ruth Wilder, die wie viele andere Frauen im Los Angeles der 1980er Jahre den Durchbruch als Schauspielerin sucht. Doch die angebotenen Rollen sind schlecht, das Material konservativ und altbacken. Ruth möchte sich so gerne beweisen, doch niemand gibt ihr die Möglichkeit dazu.
Gleichzeitig nimmt ihr Privatleben eine bittere Wendung, ihr Verhältnis zu ihrer besten Freundin Debbie (Betty Gilpin, American Gods) geht komplett in die Brüche, nachdem Ruth mit deren Ehemann geschlafen hat. Ruth ist am Ende und am Boden, doch ein recht spezieller Castingaufruf macht Hoffnung: „GLOW“. Ein neues, nie dagewesenes Wrestlingformat, in dem Frauen in den Ring steigen und ihre eigene Geschichte erzählen können.
Hit me with your best shot
Unter Anleitung von B-Movie-Regisseur und Produzent Sam Sylvia (Marc Maron, Maron) formiert sich binnen kürzester Zeit ein bunter Haufen an Möchtegernwrestlerinnen, die selbst noch keinerlei Idee davon haben, was dieses GLOW letztlich sein soll. Für Sam und Geldgeber Sebastian „Bash“ Howard (Chris Lowell) ist das Format eine Chance, das durchgetaktete TV-Programm etwas durchzuwirbeln, ihre eigene Vision auf die Bühne (oder besser in den Ring) zu bringen und ein einzigartiges Spektakel zu inszenieren, das die Welt noch nicht gesehen hat.
Für die angehenden „Gorgeous Ladies of Wrestling“ tun sich indes persönliche Ziele auf. Während zum Beispiel die eine auf einen erfolgreichen Start ins Showgeschäft hofft, kommt die andere aus einer Familie von Wrestlern, denen sie beweisen will, dass auch sie dieser Berufung nachgehen kann.
Eine jede unserer Protagonistinnen hat Träume, die sie verwirklichen will. Und dieses sonderbare Wrestlingprojekt ermöglicht ihnen das in gewisser Weise. „GLOW“ schreibt sich nicht nur unterhaltsame Wrestlingaction und einen passenden Flair der wilden 1980er Jahre auf die Fahnen, sondern vor allem auch die Selbstverwirklichung und Selbstfindung zahlreicher weiblicher Charaktere zu einer Zeit, in der die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen nicht gegeben war (was sich bis heute in vielen Bereichen nicht wirklich verändert hat) und Rollenbilder starr definiert gewesen sind. Mit diesen Umständen und Annahmen möchte das Format brechen - was auch gelingt.
Aber es braucht ein Weilchen, bis „GLOW“ seinen Rhythmus findet und zu glänzen beginnt. Die Pilotepisode ist erst mal ein extrem kurzweiliger Auftakt, in dem Hauptfigur Ruth und weitere zentrale Nebenfiguren klar etabliert werden. Obendrauf gibt es die erste Kostprobe zum Thema Wrestlingsport (übrigens in Person von Profiwrestler John Morrison als Trainer - einer von zahlreichen, wenn auch nicht extrem bekannten Wrestlern, die sich in der ersten, zehnteiligen Staffel die Ehre geben) sowie eine stylische Vorschau darauf, wohin die Serie eigentlich möchte.
Und das macht eine ganze Menge Spaß, weil Flahive und Mensch einen interessanten Mittelweg finden, den trashigen Stil des aufreizenden 80er-Jahre-Wrestlings mit realen, nachvollziehbaren Charakteren zu kombinieren, was unser Interesse weckt. Und zwar Interesse an den Figuren, aber auch an dieser bunten, für viele sicherlich sehr absurden, jedoch unterhaltsamen Subkultur.
In den darauffolgenden zwei Episoden tappt die Serie dann noch ein wenig umher und verbringt viel Zeit mit dem grummeligen Produzenten Sam, der oft sehr hart mit seinen Damen ins Gericht geht, was es gerade zu Beginn nicht besonders einfach macht, Sympathien für ihn zu entwickeln. Hinzu kommt, dass der Eindruck entsteht, das geplante Wrestlingformat würde gängige Stereotypen dieser Zeit unterstützen und reproduzieren, aber dies ist eigentlich der Clou an der ganzen Sache: Die ausgefallenen, schablonenhaften Charaktere, die unsere Figuren für die Show entwerfen oder die ihnen zugeschustert werden, sollen vielmehr als überzeichnete Karikaturen verstanden werden und sind ein Beiprodukt ihrer Selbstverwirklichung.
„GLOW“ will es auf die Spitze treiben, während sich die wrestlenden Frauen weniger von ihren Personas repräsentiert sehen, sondern diese vielmehr als eine extrovertierte Rolle in einem Bühnenstück der etwas anderen Art verstehen. Unsere „Ladys“ gehen in dieser aufgesetzten Seifenopfer auf, ärgern sich über manche Rollenbeschreibungen zutiefst, arbeiten mit Leidenschaft an ihren Charakteren und finden Wege, sich auszudrücken und auszuleben.
Die Frauengruppe findet irgendwie zueinander, so bizarr einige ihrer Mitglieder auch sind, und unterstützt sich fortwährend, wenn es hart auf hart kommt. Und genau in diesen Momenten brilliert „GLOW“, wenn der Zusammenhalt unserer Figuren im Fokus steht, wenn kleine, herzliche Geschichten aus dem großen Ensemble erzählt werden.
Rock you like a hurricane
Auf diese Weise lernen wir nicht nur die urkomischen, sondern auch die tragischen Facetten in den Leben der Charaktere kennen, die nicht nur sich selbst beweisen wollen, zu was sie in der Lage sind, sondern auch den Menschen um sie herum. Alison Bries Ruth Wilder nimmt in dieser Hinsicht eine besondere Rolle ein, da sie doch im Endeffekt den Geist von GLOW verkörpert. Sie arbeitet hart und unermüdlich, sie setzt sich permanent unter Druck und muss einen Nackenschlag nach dem nächsten hinnehmen. Ihre Beziehung zu Betty Gilpins Debbie ist eine extrem komplexe Freund- beziehungsweise Feindschaft zwischen zwei Frauen, die sich Zeit ihres Leben nach anderen gerichtet und sich angepasst haben, um wahrgenommen zu werden.
Aus dem Konstrukt brechen Ruth und in gewisser Weise auch Debbie irgendwann aus und eine poppige Damenwrestlingshow könnte kein besseres Vehikel für dieses Vorhaben sein. „GLOW“ mausert sich im Laufe seiner ersten Staffel zu einer herrlich abwechslungsreichen und unglaublich charmanten Erzählung voller Höhen und Tiefen für die Figuren, die ich nur zu gerne mit ihnen erlebe. Wer ein Faible für die 80er Jahre, die Mode, die Musik und den Lifestyle hat, der wird sich in dieser Serienwelt ungemein wohlfühlen und nach mehr als nur zehn Folgen lechzen.
Die Episodenlänge von gut 30 Minuten (mal etwas mehr, mal etwas weniger) trägt indes zur großen Kurzweiligkeit des Formats bei, jedoch wünscht man sich hier und da fast etwas mehr Laufzeit, was den einzelnen Figuren und ihren distinktiven Persönlichkeiten mehr Raum zur Entfaltung geben würde. Denn nicht alle erhalten die Aufmerksamkeit, die sie sich verdient haben, auch wenn die Macherinnen eine insgesamt solide Balance zwischen den verschiedenen Charakteren finden. Es würde aber nicht verwundern, wenn schon bald die Verlängerung um eine zweite Staffel bekannt werden würde, in der man neben Ruth und Debbie auch den vielen anderen, interessanten Frauenfiguren der Serie eine größere Bühne bieten könnte.
Am Ende der ersten Staffel von „GLOW“ steht eine überraschend komplexe Serie, in der selten ein Blatt vor den Mund genommen wird. Ob es nun die glamouröse Welt des Amateurwrestlings von vor über 30 Jahren ist, die schmissige Inszenierung, das lebendige Festhalten einer speziellen Zeitepoche oder aber die Vielzahl an vielschichtigen Figuren, die allesamt ihren eigenen Ballast mit sich herumtragen - die neue Netflix-Serie macht Laune, berührt emotional und präsentiert uns eine vielfältige Geschichte, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Allein dies ist ein guter Grund, dem Neustart seine verdiente Chance zu geben, ganz egal, ob man etwas für den Wrestlingsport übrig hat oder nicht.
Die erste Staffel mag vielleicht nicht rundum perfekt sein und benötigt etwas Zeit, um richtig in Fahrt zu kommen. Ist dies aber erst einmal passiert, kennt GLOW oft keine Grenze mehr und dreht komplett auf. Und wenn dann alle Zahnräder ineinandergreifen, entpuppt sich der Serienneustart als gut geölte, fein abgestimmte Maschine, in der jedes noch so kleines Teilchen wichtig ist. Allein deshalb gehört „GLOW“ bereits jetzt schon zu den besseren Ensembleserien jüngerer Zeit. Und weil die „Gorgeous Ladies of Wrestling“ einfach verdammt cool sind und fantastisch auf den Putz hauen.
Trailer zu „GLOW“: