London wird von den Machtspielen internationaler Gangs auseinandergezerrt, die jeweils die Kontrolle über die Stadt erlangen wollen.
Im Auftakt des britischen Actionthrillers Gangs of London entbrennt nach dem gewaltsamen Tod des mächtigsten Gangsterbosses der Stadt ein Kräftemessen unter dessen Rivalen. Sein Sohn Sean (Joe Cole, Peaky Blinders) versucht als neues Oberhaupt die Position seiner Familie an der Spitze der Hierarchie zu verteidigen und zu stabilisieren, scheut sich aber auch nicht, seinen Geschäftspartnern vor den Kopf zu stoßen, solange der Mörder seines Vaters frei herumspaziert.
Worum geht es in der Auftaktepisode von Gangs of London?
Im Rahmen der Beerdigung kehren die Unterweltbosse von London nicht nur ein, um dem Verstorbenen ihren Respekt zu zollen, sondern auch, um sicherzugehen, dass die vorigen Arrangements bestehen bleiben und die Geschäfte weiterlaufen. Sean verkündet jedoch sehr zum Missfallen der anderen Clans und gegen den ausdrücklichen Rat von Ed Dumani (Lucian Msamati), der rechten Hand seines Vaters, dass jedwede Art von Unterweltbusiness zum Stehen kommt, bis die Verantwortlichen für den Tod seines Vaters zur Rechenschaft gezogen sind. Damit eröffnet er eine Jagd, bei der jeder etwas zu verlieren hat.
Gleichzeitig sieht Elliot Finch (Sope Dirisu), zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als ein einfacher Fußsoldat der Wallace-Familie, seine Chance gekommen, sich zu beweisen und in den inneren Zirkel aufzusteigen, als er über eine Spur stolpert, die ihn zum albanischen Clan führt, auf dessen Territorium der Mord geschah. Im Zuge eines waghalsigen Alleingangs gelingt es ihm, den Fahrer des verstorbenen Finn Wallace auszumachen, der in der schicksalhaften Nacht verschwand. Wie es sich herausstellt, verbirgt sich hinter dieser riskanten Aktion für ihn noch weitaus mehr als ein potentieller Aufstieg. Doch er ist bei weitem nicht der Einzige, der versteckte Motive und Ziele verfolgt...
Action-Spektakel mit düsterem Anstrich
Hinter der Serie, die sicher noch einiges an Aufsehen erregen wird, verbergen sich der Waliser Gareth Evans und sein Kreativpartner Matt Flannery als Showrunner. Actionfreunden könnte der Name Evans aufgrund seiner Kracher „The Raid“ und „The Raid 2“ ein Begriff sein, wobei ihm vor allem mit dem ersten Part einer der größten Überraschungshits des letzten Jahrzehnts gelang, der dem Actionkino mit seinem einzigartig kompromisslosen Stil neues Leben einhauchte. Zusammen mit einem Hauch des Flairs von Guy-Ritchie-Gangsterfilmen sind Gareths Fingerabdrücke überall in Gangs of London zu spüren, denn der rund 90-minütige Beginn könnte cineastischer kaum sein.
London is calling once again...
Die Inszenierung kann schlichtweg als spektakulär bezeichnet werden. Ein Beispiel: Als in einer der Szenen eine Pubprügelei so richtig ausartet, in der dann Aschenbecher und Dartpfeile als tödliche Waffen zweckentfremdet werden, werden wir Zeuge des kompromisslos brutalen und dynamischen Actionstils. Dieser lässt einen den Kampf mit seiner realistischen, gnadenlosen Art und der Wucht eines Schlags mitten in die Magengrube miterleben. Wo andere Produktionen sich wegdrehen, hält hier die Kamera ohne zu blinzeln auf die Kontrahenten drauf, die genauso ohne Zögern durchziehen. Für diesen gekonnt choreografierten Part sorgt in dieser Episode Sope Dirisu als Elliot Finch, der zuvor keine Martial-Arts-Erfahrungen mit sich brachte, was man bei seinen glaubwürdigen Bewegungen, dem Timing und der Präzision kaum glauben mag.
Der Start lebt aber auch zudem von der Spannung und der unheimlich bedrohend wirkenden Atmosphäre, denn, nachdem wir bereits frühzeitig erleben, zu welchen Gewaltausbrüchen die Charaktere imstande sind, beschleicht einen bei fast jeder Szene ein ungutes Gefühl von Gefahr, das von dem Psychopathenkabinett ausgeht, denn nachdem bereits in den ersten drei Minuten jemand in Flammen aufgegangen ist, gibt dieser einprägsame Einstand den Ton der Episode vor. Mit Schauspielern wie Joe Cole oder auch Michelle Fairley (Game of Thrones) hat man sich ein fähiges Team von Darstellern gesucht, deren porträtierte Charaktere bereits frühzeitig ein komplexes Inneres andeuten. Ganz generell wurde hier ein sehr abwechslungsreicher Cast an Figuren und Fraktionen aufgestellt.
Angenehmerweise ist es bei dem Tempo und der Größe des Ensembles schwierig vorauszusagen, was als Nächstes geschehen wird. Verrat und Intrigen lauern hinter jeder Ecke, jeder hat diverse Deals am Laufen und kocht sein eigenes Süppchen hinter dem Rücken von Freunden und Feinden, Partnern und der Konkurrenz. Dass das Szenario einem gefloppten Videospiel aus dem Jahr 2006 entsprungen ist, gerät dabei zur Nebensache und es war vielleicht mit seinem Aufbau eine der wenigen Stärken der Vorlage. Denn die düstere Welt des fiktiven Londons, die Evans passenderweise als „Gotham-Version“ der Stadt bezeichnet, macht einen gut durchdachten Eindruck.
... and the streets are running red
An dieser Stelle kommt man nicht drum herum, auf die allgegenwärtig auftretende Gewalt einzugehen: Wer die beiden „The Raid“-Filme von Gareth Evans kennt, weiß in etwa, was einen hier erwartet. Allerdings ist das Ganze noch mal ein Schuss düsterer und man sollte sich auf einige brachiale Szenen sowie eine ordentliche Menge Blut gefasst machen. Wenn man gegen Ende der Episode noch einen schwer beschäftigten Enforcer mit gut benutztem Hackebeil in der Hand kennenlernt, nimmt das Ganze auch schon ein paar dezente Horrorzüge an, die möglicherweise keine große Seltenheit darstellen. Einiges wird so direkt und erbarmungslos dargestellt, dass es schon verständlich ist, wenn man als Zuschauer das eine oder andere Mal zusammenzuckt oder wegschauen möchte. Kurzum: Wer auch nur ansatzweise schwache Nerven bei Gewaltdarstellung besitzt, wird hier nicht lange zuschauen können. Allerdings wird diese auch nicht verharmlost, sondern zur Verstärkung der bereits erwähnten Drohkulisse eingesetzt und ist, auch wenn man sie sicherlich entschärfen könnte, eben genau so gewollt dargestellt.
Fazit
Packend. Brachial. Genial. Mit Gangs of London hat der „The Raid“-Schöpfer Gareth Evans ein ganz heißes Eisen im Feuer. Kompromisslose Action und eine spannende Atmosphäre in einem komplexen Gewebe aus Verrat und Intrigen lassen nach dieser Auftaktepisode auf riesiges Potential schließen. Wer die mitunter derbe Gewalt verdauen kann, darf sich auf eine qualitativ hochwertige Produktion und ebenso auf eine cineastische Inszenierung freuen, die momentan ihresgleichen sucht.