Der amerikanische Filmemacher Scott Z. Burns schrieb schon vor über zehn Jahren das Skript zu einem der erschreckendsten Pandemie-Thriller, die das Kino je hervorgebracht hat, „Contagion“ (2011). Folglich konnte Burns den Corona-Lockdown nutzen, um sich bereits der nächsten, noch sehr viel größeren Herausforderung der Menschheit zu widmen, der Klimakrise. Das Thema beschäftigt ihn anscheinend seit langem, denn er war bereits als Produzent beim schulvertretungsstundenfüllenden Al-Gore-Referat „Eine unbequeme Wahrheit“ (2006) involviert.
Als Apple TV+ im Januar 2020 die Bestellung einer achtteiligen Anthologieserie mit dem sperrigen Titel Extrapolations (zu Deutsch: „Hochrechnungen“) bekannt gab, waren die Hoffnungen groß, endlich ein fiktionalisiertes Format zu finden, das der überwältigenden Relevanz der Klimakrise gerecht wird. Eines der Hauptprobleme im sogenannten Cli-Fi-Genre ist die fehlende Geduld, sich mit der Frühphase der Katastrophe zu beschäftigen. Serien wie Incorporated oder Snowpiercer springen lieber direkt zum postapokalyptischen Part. Und ähnlich ist es auch im Filmbereich, wo einem schaueffektive Werke wie „The Day After Tomorrow“, „Waterworld“ und „Mad Max: Fury Road“ einfallen.
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Burns versucht mit „Extrapolations“ möglichst viele Facetten und Kipppunkte abzudecken. Doch diese vermeintliche Stärke entpuppt sich bald als Schwäche - genauso wie das erstaunlich namhafte Ensemble. Diesem gehören etwa die dreifache Oscarpreisträgerin Meryl Streep (Big Little Lies), Kit Harington (Game of Thrones), Edward Norton („Glass Onion“), Sienna Miller (The Loudest Voice), Diane Lane (Y - The Last Man), Daveed Diggs („Hamilton“), Tahar Rahim (The Serpent), Yara Shahidi (Grown-ish), David Schwimmer (Friends), Indira Varma (Obi-Wan Kenobi), Marion Cotillard („Inception“), Heather Graham (Californication), Tobey Maguire („Spider-Man“), Murray Bartlett (The White Lotus), Forest Whittaker (Godfather of Harlem), Michael Gandolfini („The Many Saints of Newark“), Judd Hirsch („Die Fabelmans“), Eiza González („Ambulance“) sowie das Ehepaar Keri Russell und Matthew Rhys (beide The Americans) an.
Worum geht's?
Die erste Episode spielt im Jahr 2037, wenn die verheerenden Folgen der fossilen Weltwirtschaft auch in den wohlhabenderen Ländern der nordwestlichen Erdregionen zum gefährlichen Alltag geworden sind. Dieser Startpunkt ist zwar vergleichsweise früh angesetzt, suggeriert aber trotzdem noch, dass die Klimakrise erst übermorgen losgeht, obwohl sie an vielen Orten - welche uns vielleicht egal sein mögen - längst wütet. Burns bleibt auch nur kurz in der nahen Zukunft haften, sondern springt lieber von Folge zu Folge um knapp ein Jahrzehnt, sodass wir zum Finale schon im Jahr 2070 landen.
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Während dieser rasanten Reise durch das 21. Jahrhundert lernen wir unzählige Figuren aus verschiedensten Bereichen kennen, die uns alle denkbaren Perspektiven auf die globale Problematik bieten sollen. Der Mangel an Zeit, um jeden dieser Charaktere wirklich zur Geltung kommen zu lassen, soll durch die bereits erwähnte Prominenz der Darsteller:innen ausgeglichen werden. Wobei Stars wie Streep, Harrington und Norton wohl auch nur unter der Bedingung zugesagt haben, dass Apple nicht zu viel von ihnen verlangt. Klingt zunächst nach einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Nur das Publikum wird dabei vergessen, weil Bindungen so kaum zustande kommen können.
Die Sprunghaftigkeit der Serie sorgt nicht nur für emotionale Distanz, sondern lässt auch Burns' theoretische Überlegungen verpuffen. Daran, dass sich der Regisseur und Autor mit der Klimakrise auskennt wie wenige andere im Showgeschäft, besteht kein Zweifel. Er beschäftigt sich mit politischen Konferenzen, Aktivismus, Terraforming und denkt sich sogar technische Entwicklungen aus, bei denen ein Christian Lindner große Augen machen würde. Leider verläuft er sich mit seinem Einfallsreichtum, sodass man zum Ende hin das Gefühl hat, in einer Black Mirror-Folge festzustecken.
Das Merkwürdige bei der Apple-Anthologie ist, dass sie sowohl ein „Zu-viel“- als auch ein „Zu-wenig“-Problem hat. Fokus hätte Burns' Serie sehr gut getan. Man erkennt immer wieder Ansätze, die richtig gut zu werden versprechen, doch dann geht es gleich zum nächsten Thema weiter. Das Ganze kulminiert in der Finalfolge „2070“ mit einer Gerichtsverhandlung in Den Haag, wo ein Elon-Musk-artiger Technikmagnat (Harrington) von einem Goolge-artigen Konzern (namens Alpha) die Verantwortung auf sich nehmen soll. Das würde die Komplexität der Klimakrise jedoch verfehlen.
Wie ist es?
Obwohl Apple TV+ mit Extrapolations weder Kosten noch Mühen gescheut hat - vielleicht haben wir es hier mit dem wertvollsten Streaming-Cast aller Zeiten zu tun -, bleibt es dabei, dass Stand 2023 noch immer keine gute Serie zur so wichtigen Klimakrise existiert. Der kluge Creator Scott Z. Burns scheint in seinem kreativen Prozess einen ähnlichen Rückschlag erlitten zu haben wie die Menschheit beim Umgang mit der Problematik selbst. Die Sache ist schlichtweg zu groß, zu kompliziert und überwältigend, um sie wirklich greifen zu können.
Kritiker:innen, die glauben zu wissen, wie es besser gewesen wäre, sind immer etwas peinlich. Dennoch möchte ich festhalten, dass dieses überambitionierte Projekt gut daran getan hätte, weniger zu wollen. Statt von Dekade zu Dekade zu hopsen und alle möglichen Klimafolgenforschungsthemen aufzugreifen, wäre es vermutlich dienlicher gewesen, in der nahen Zukunft zu bleiben - was Hollywood ja viel zu selten tut - und echte Lösungsansätze zu behandeln.
Alles in allem werden Menschen, denen die Klimakrise wirklich am Herzen liegt, enttäuscht sein von der Oberflächlichkeit der Apple-Serie, während die anderen vermutlich nur eine mittelmäßige Sci-Fi-Serie darin sehen. Drei von fünf Grad Erderwärmung!
Hier abschließend noch der Trailer zur Serie „Extrapolations“:
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