Die Netflix-Kinderserie A Series of Unfortunate Events alias Eine Reihe betrüblicher Ereignisse erweist sich auch in Staffel zwei als probates Gegengift für die bitterböse Welt. Im Mittelpunkt stehen Brandstifter und die Helden, die die Flammen löschen.
Nichts auf dieser Welt ist unpolitisch, nicht einmal eine Kinderserie bei Netflix. Doch bei A Series of Unfortunate Events beziehungsweise „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“ handelt es sich auch nicht um irgendeine Kinderserie. Nein, das düster-absurde Mysterydrama von Mark Hudis (True Blood) und Barry Sonnenfeld (Pushing Daisies) ist etwas Besonderes. Als Vorlage wählte es sich eine der cleversten Kinderbuchreihen der jüngeren Vergangenheit, geschrieben vom fiktiven Autor Lemony Snicket alias Daniel Handler, der zugleich als epischer Ich-Erzähler fungiert.
Es ist bezeichnend, dass die Serie letztes Jahr bei Netflix ausgerechnet eine Woche vor der Amtseinführung von Donald Trump als 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ihre Premiere feierte - und dann auch noch an einem Freitag, den 13. Und genauso bezeichnend ist die Tatsache, dass die zweite Staffel dieses Jahr knapp eine Woche nach einem der größten Aufmärsche junger liberaler Kräfte in den USA, dem „March for Our Lives“ vonstattenging. Emma González und andere mutige Überlebende des Amoklaufs von Parkland demonstrierten landesweit gegen die Korruption der derzeitigen Machthaber und gegen die politischen Verstrickungen mit der Waffenlobby NRA. Und dabei könnte sie genauso gut selbst die Heldin von A Series of Unfortunate Events sein.
Denn ganz ehrlich: Was unterscheidet sie von den Baudelaire-Waisen? Ist sie nicht genauso selbstbewusst wie Violet (Malina Weissman)? Genauso klug wie Klaus (Louis Hynes)? Und genauso verbissen wie Sunny (Presley Smith)? Ja, und sind die Machenschaften von Donald Trump nicht genauso zwielichtig wie die von Graf Olaf (Neil Patrick Harris)? Führt er seine Anhänger nicht genauso hinters Licht? Und geht es nicht auch ihm am Ende immer nur um sich selbst? Kaum eine Serie fängt den besorgniserregenden Zustand der Welt, aber vor allem den von Amerika besser ein als A Series of Unfortunate Events. Und genau wie im echten Leben steht auch hier am Ende die eine große Wahrheit, die jeder Mensch mit Sinn für Ethik und Moral in seinem Herzen trägt: Die Hoffnung ruht auf den Kindern.
Memento Mori
Nachdem sich die achtteilige Auftaktstaffel vergangenes Jahr um die ersten vier Bände der Buchvorlage, also um „Der schreckliche Anfang“, „Das Haus der Schlangen“, „Der Seufzersee“ und „Die unheimliche Mühle“ drehte, seziert die zweite Staffel innerhalb von zehn Episoden die Bände fünf bis neun, sprich „Die Schule des Schreckens“, „Die dunkle Allee“, „Das düstere Dorf“, „Das schaurige Hospital“ und „Der grausige Jahrmarkt“. Für die dritte und letzte Staffel bleiben somit nächstes Jahr noch „Der finstere Fels“, „Die grimmige Grotte“, „Das haarsträubende Hotel“ und „Das erstaunliche Ende“.
Wer aufgepasst hat, dem ist aufgefallen, dass Staffel zwei die längste ist und dies auch bleiben wird. Und ehrlich gesagt, merkt man das ein wenig. Fester Teil des Erfolgsrezepts von A Series of Unfortunate Events sind die ständigen Wiederholungen der einzelnen Geschichten. Jedes Mal werden die Baudelaires in eine neue Umgebung geworfen, von ihrem Nachlassverwalter Mr. Poe (K. Todd Freeman) sich selbst überlassen und schließlich vom bösen Graf Olaf aufgespürt, der in seinen lächerlichen Verkleidungen zwar alle anderen, doch nicht die Kinder überlisten kann. Dank ihres Einfallsreichtums und geschwisterlichen Zusammenhalts gelingt Violet, Klaus und Sunny meist irgendwie die Flucht, Graf Olaf fliegt auf und das Ganze beginnt von vorn.
Da die Serie alle zwei Episoden das Setting wechselt, wird das Ganze trotz der denkbar einfachen Grundformel selten eintönig. Denn wie Olaf treffend und gewohnt selbstreferentiell feststellt: nichts ist schlimmer als langweiliges Fernsehen. Dennoch fühlt sich diese Staffel etwas repetitiver an als noch Staffel eins. Vielleicht auch, weil die Handlungsorte - mit Ausnahme des Squalor-Penthouse in den Episoden drei und vier (meinen persönlichen Lieblinge) - diesmal äußerst düster gehalten wurden. Ja, sogar noch düsterer als in der für eine Kinderserie ohnehin schon verblüffend düsteren Auftaktstaffel. Auf der anderen Seite sollte man es A Series of Unfortunate Events prinzipiell zugutehalten, dass die Schattenseiten des Lebens nicht allzu sehr verklärt werden. Genau das macht die Serie, aber auch das Buch ja aus.
Deus ex Machina
Das Highlight dieser Staffel stellen sicherlich die grandiosen Gastauftritte solcher Stars wie Lucy Punch, Tony Hale, Roger Bart, Allison Williams, Sara Rue und Nathan Fillion dar. Besonders letztgenannter erweist sich wie zu erwarten als wahrer Bildschirmmagnet, dem man gut und gerne noch mehr Szenen hätte geben können. Besonders, da er als Jacques Snicket, dem draufgängerischen Bruder des etwas steifen Erzählers Lemony (Patrick Warburton), zahlreiche Antworten auf die großen Mysterien der Serie versprach. Auch dies gelingt den Produzenten Hudis und Sonnenfeld in der neuen Staffel außerordentlich gut: die Erweiterung der Rätsel rund um die Geheimorganisation V. F. D. und das obskure Fernglas der verbrannten Eltern. Obskur bedeutet in diesem Zusammenhang übrigens so viel wie verdächtig oder fragwürdig.
Und auch wenn Violet, Klaus und Sunny bei der Suche nach Klarheit immer wieder in die Parade gefahren wird - meist natürlich von Olaf -, so dass man als Zuschauer ihren Frust und die Verzweiflung sehr gut mitfühlen kann, erhalten sie genau wie wir wenigstens die Antwort auf eine Frage: Wofür steht V. F. D.? Die Auflösung ist überraschend und doch genial: volunteer fire department (zu Deutsch: Freiwillige Feuerwehr). Genial, weil sie eine literarische Parallele unterstreicht, die beim Schauen der Serie ohnehin oft zum Vorschein tritt. Eine Parallele nämlich zum Science-Fiction-Klassiker „Fahrenheit 451“ des Autors Ray Bradbury. Denn auch in dieser Geschichte geht es um Tyrannei und Täuschung - und um die Feuerwehr.
„Fahrenheit 451“ handelt von einem Feuerwehrmann, der in einer dystopischen Zukunft lebt, in der er und seine Kollegen Brände nicht löschen, sondern legen. Genau wie Olaf und seine Truppe des absurden Schreckens. Ihr Ziel: die Vernichtung sämtlicher Bücher und somit eine Demobilisierung der Intelligenz des Volkes. Denn nur so lassen sich Diktaturen etablieren. Erst, wenn alle Menschen aufhören, zu denken und die Verantwortung für die Geschehnisse der Welt an einen allmächtigen Anführer abgeben, hat das Böse triumphiert. Doch wissbegierige Bücherwürmer wie die Baudelaires und ihre neuen Freunde, die Quagmires, werden dies mit aller Macht zu verhindern wissen. Der Leitsatz dieser Staffel: „In einer Welt voller Korruption und Arroganz fällt es oft schwer, seinen philosophischen und literarischen Prinzipien treu zu bleiben.“
In the Belly of the Beast
Violet, Klaus und Sunny mögen es selbst nicht wissen, doch sie und die anderen Freiwilligen, die diesem Motto mit ganzem Herzen zustimmen können, stellen das Gute dar, den einzigen Hoffnungsschimmer für die Menschheit, die sich viel zu oft und viel zu leicht von Demagogen täuschen lässt. Immer wieder gelingt es dem schurkischen Olaf, vermeintlich normale Menschen in blutrünstige Mobs zu verwandeln. Und so lächerlich das Ganze in A Series of Unfortunate Events auch erscheinen mag, allzu fern von der Realität ist das alles nicht. Die Baudelaires dürfte das große Ganze derweil deutlich weniger interessieren als die einfache Frage, was aus ihren Eltern wurde. Gegen Ende der Staffel deutet sich sogar an, dass eines ihrer beiden Elternteile das Feuer überlebt haben könnte. Ist die mysteriöse Figur von Allison Williams, die kurz vor Schluss am Jahrmarkt eintrifft, etwa die Mutter?
Gut möglich, dass es sich bei all dem erneut um eine Ente handelt, so wie sich ja auch schon die Figuren von Cobie Smulders und Will Arnett nicht als die Eltern der Baudelaires, sondern der Quagmires herausstellten. Ganz persönlich empfände ich die plötzliche Rückkehr der Mutter oder des Vaters - so sehr es den Kindern eigentlich gegönnt wäre - auch als kleinen Betrug an echten Waisen, die A Series of Unfortunate Events vielleicht als tröstendes Kunstwerk wahrnehmen, das ihnen zeigt, dass sie auch ohne Eltern vollständige Menschen sein können. Bei „Harry Potter“ gab es schließlich auch keinen Fake-out.
Was das Finale selbst betrifft, enttäuscht die Staffel ebenfalls ein wenig im Vergleich zum Vorjahr. Wir Zuschauer werden mit einem Cliffhanger abgespeist - im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Musikeinlage wie in der Auftaktstaffel hätte ich ganz klar bevorzugt. Zumal die fabelhafte Jungdarstellerin Malina Weissman so überhaupt nicht zum Singen kommt, während Neil Patrick Harris zwei eher unspektakuläre Lieder trällern darf. Ansonsten bleibt A Series of Unfortunate Events in seiner zweiten Staffel aber das, was es immer war: eine wunderbare Kinderserie mit unvergleichlichem Ton, verquerem Humor, Slapstickszenen à la Monty Python, zahlreichen Anspielungen für Erwachsene, einer Kulisse, die nicht einmal Wes Anderson skurriler hätte dekorieren können und vor allen Dingen einer lebens- und lesensbejahenden Botschaft. Eine Botschaft, die die Welt mehr denn je benötigt.