SPOILER! SPOILER! SPOILER!
„Didn't you tell your friends that I was trying to kill myself when you found me? Does that sound like someone who has a plan?“
Inhalt
2007, die Insel
Bei einem gemütlichen Lagerfeuer am Strand klärt Sun Jack und Hurley darüber auf, dass sie laut Ilana Kandidaten für die Nachfolge von Jacob auf der Insel sind. Allerdings weiß auch Ilana nicht, wie es jetzt weitergehen soll. Jacob hatte ihr gesagt, dass sie sich an Richard halten soll, sobald sie den Tempel verlassen haben. Doch Richard hat keinen blassen Schimmer, was zu tun ist. Mit oben genanntem Zitat weist er darauf hin, dass er erst kürzlich versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Mit Plänen ist es deshalb bei ihm nicht weit her.
Tatsächlich erklärt Richard sogar, dass alles, was Jacob gesagt hat, eine Lüge ist. Sie befänden sich gar nicht auf einer Insel. In Wahrheit seien sie alle tot - und in der Hölle. Richard hat genug davon, auf Jacob zu hören. Er entscheidet sich, lieber jemandem zu folgen, der ihn aus der Hölle befreien kann. Richard schnappt sich eine Fackel und macht sich auf den Weg durch den Dschungel - hin zu Fake-Locke. Was er nicht ahnt: Dass Hurley, der zuvor mit jemandem, den wir nicht zu Gesicht bekommen, Spanisch gesprochen hat, ihm durch den Dschungel folgt.
1867, Teneriffa
Statt nach L.A. geht es diesmal nach Teneriffa, wo im 19. Jahrhundert Richard (alias Ricardo) mit seiner Frau Isabella lebt. Da Isabella schwer krank ist, macht sich ihr liebender Ehemann durch ein schweres Unwetter auf den Weg zum Arzt. Dieser sieht es jedoch überhaupt nicht ein, seine üppige Tafel für eine Patientin in Not zu verlassen. Er bietet Richard jedoch ein Medikament an, will dafür jedoch Bares sehen. Der verzweifelte Ehemann gibt ihm alles Geld, das er besitzt - und zusätzlich noch die Kette mit dem goldenen Kreuz, die Isabella ihm für diesen Fall mitgegeben hat. Doch das alles stellt den gierigen Onkel Doktor nicht zufrieden. Richard und der Arzt geraten in einen heftigen Streit, bei dem es schließlich auch handgreiflich zur Sache geht, was der Arzt - mehr versehentlich, denn aus Richards Absicht - mit dem Leben bezahlt.
Richard nimmt das Medikament und bringt es durch den strömenden Regen zu seiner Frau. Doch er kommt zu spät. Isabella ist bereits gestorben. Kurze Zeit später wird Richard von der Polizei festgenommen und in den Kerker gesperrt. Ein Pater, der kommt, um ihm die Beichte abzunehmen, verweigert ihm wegen des Totschlags an dem Arzt die Absolution - und kündigt vielmehr an, dass Richard für seine Sünde zur Hölle fahren werde, sobald er am folgenden Tag gehängt wird.
Dazu kommt es jedoch nicht. Denn besagter Pater ist nicht nur das Gegenteil eines sanftmütigen Seelsorgers, sondern darüber hinaus auch sehr geschäftstüchtig. Gegen eine Maklerprovision sorgt er dafür, dass Richard, der ein wenig Englisch gelernt hat, weil er mit seiner Frau in die Neue Welt ziehen wollte, genau dorthin gebracht wird - und zwar als Sklave auf der „Black Rock“ unter dem Kommando von Captain Magnus Hanso (!). Hmm, ob der wohl etwas mit der gleichnamigen Foundation zu tun hat, die hinter der Dharma Initiative steht?
Die „Black Rock“ gerät jedoch in ein heftiges Unwetter, das sie auf eine Insel zutreibt, die, wie es scheint, vom Teufel bewacht wird. Oder jedenfalls einer Statue, die ihm nicht unähnlich ist. Um die Statue müssen sich die Besatzung und „Passagiere“ des Schiffs jedoch schon bald keine Gedanken mehr machen. Denn die „Black Rock“ prallt mit einer solchen Wucht auf die Insel, dass das Schiff nicht nur die Statue in kleine Stücke haut, sondern auch tief ins Hinterland der Insel katapultiert wird.
Die wenigen verbliebenen Offiziere sind hauptsächlich um die begrenzten Vorräte und ihre zahlenmäßige Unterlegenheit besorgt - und fangen deshalb damit an, alle noch lebenden Sklaven zu ermorden. Bevor jedoch Richard an der Reihe ist, machen besagte Offiziere Bekanntschaft der blutigen Art mit dem schwarzen Rauchmonster. Dieses nähert sich, nachdem es mit den Offizieren kurzen Prozess gemacht hat, auch Richard, der jedoch ein Gebet zu sprechen scheint - woraufhin der schwarze Rauch verschwindet.
Verzweifelt versucht Richard, die Ketten, in denen er nach wie vor gefangen ist, zu lösen. Ohne Erfolg. Mit der Zeit bekommt er so einigen Besuch. Erst von einem Wildschwein, das er vertreiben kann. Dann von seiner Ehefrau Isabella, die merkwürdigerweise nicht nur am Leben, sondern auch an Bord zu sein scheint, sich jedoch wegen des erneut herannahenden schwarzen Rauchs aus dem Staub macht. Und schließlich von einem in Schwarz gekleideten Mann, der Richard erst etwas Wasser gibt und ihn dann von seinen Fesseln befreit.
Der Mann in Schwarz bestätigt Richards Verdacht, dass sie sich beide in der Hölle befinden. Es gäbe allerdings, so der Mann, einen Weg heraus. Richard müsse dafür nur den Teufel töten. Das sei auch der einzige Weg, wie er und seine Frau wieder zusammenkommen könnten. Richard zögert. Immerhin war es die Tötung des Arztes, die ihn überhaupt erst in diese Situation gebracht hat. Doch der Mann in Schwarz insistiert, dass es ihre einzige Chance sei. Richard dürfe sich nur nicht auf ein Gespräch mit dem Teufel einlassen. Er müsse ihm vielmehr gleich den (uns sehr bekannten!) Dolch in die Brust rammen.
Richard tut, wie ihm gesagt. Er geht an den Strand, um dort Jacob zu töten. Nur dass es Jacob gelingt, ihm den Dolch zu entwenden. Und ihm besagter Jacob glaubhaft versichert, nichts von Isabella zu wissen. Richard glaubt nach wie vor, in der Hölle zu sein. Woraufhin ihn der in Weiß gekleidete Mann packt und ein paar Mal kräftig in den Ozean taucht, womit dann schließlich auch für Richard schlüssig bewiesen ist, dass er noch am Leben sein muss.
Jacob erzählt Richard von dem kleinen philosophischen Disput, den er mit dem Mann in Schwarz hat. Dieser glaube, dass Menschen im Grunde ihres Herzes korrumpierbar sind - und gar nicht anders können als zu sündigen. Jacob versucht, das Gegenteil zu beweisen: Menschen können von sich aus das Richtige tun. Bislang hapert es allerdings, wie Jacob selbst einräumt, noch ein wenig mit den Resultaten seiner Beweisführung. Denn alle, die er bislang auf die Insel „eingeladen“ hat, sind mittlerweile tot.
Richard fragt, warum Jacob ihnen nicht geholfen habe. Doch Jacob erklärt ihm, dass das sinnlos wäre. Schließlich ginge es ja gerade darum, dass sie von sich aus, gut und böse unterscheiden, ohne dass er es ihnen sagt. Richard widerspricht: Wenn es Jacob es nicht tut, dann wird es der Mann in Schwarz machen. Das überzeugt Jacob immerhin so sehr, dass er Richard einen Job als Mittelsmann zwischen sich und den „Gästen“ auf der Insel anbietet. Richard fragt, was er dafür im Gegenzug erhalte: Seine bevorzugten Wünsche, die Rückkehr seiner Frau von den Toten und die Absolution seiner Sünden, kann Jacob nicht erfüllen. Was er jedoch mit einer einzigen Berührung am Arm erfüllen kann, ist Richards Wunsch nach ewigem Leben.
Zur Insel selbst erläutert Jacob, dass sie wie der Korken einer Weinflasche sei. Wobei der Wein für alles Übel in der Welt stünde. Nimmt man den Korken heraus, würde sich der Wein (analog: das Böse) verteilen.
Richard kehrt in den Dschungel zurück, wo er den Mann in Schwarz trifft. Dieser ist sehr enttäuscht über die Wahl, die Richard getroffen hat. Allerdings bietet er ihm an, dass er sich jederzeit anders entscheiden könne. Doch davon will Richard erst einmal nichts wissen. Stattdessen nimmt er Abschied von seiner Frau, indem er die Kette mit dem Goldkreuz unter einem der Trümmerstücke der Statue vergräbt.
Zurück in 2007:
Richard erreicht die Stelle, an der er die Kette begraben hat - und holt sie wieder aus der Erde. Lauthals ruft er, dass er sich umentschieden habe. Doch Fake-Locke kommt zu spät. Denn vorher ist Hurley bei Richard - und richtet ihm Grüße von seiner Frau aus. Die unsichtbare Person, mit der Hurley am Strand gesprochen hat, war Isabella. Und sie ist auch jetzt bei ihm - und spricht - erst durch Hurley hindurch, dann wie es scheint direkt - mit ihrem Mann, um sich von ihm zu verabschieden. Richard ist davon zutiefst bewegt und bedankt sich bei Hurley. Dieser hat jedoch noch eine letzte Botschaft von Isabella: Richard müsse dabei helfen, den Mann in Schwarz dabei aufzuhalten, die Insel zu verlassen. Wenn der Mann in Schwarz Erfolg habe, dann würden sie alle zur Hölle fahren.
Zurück in 1867:
Jacob und der Mann in Schwarz unterhalten sich. Der Mann in Schwarz sagt, dass er einfach nur gehen will. Doch Jacob antwortet, dass er das niemals zulassen könne. Selbst wenn der Mann in Schwarz ihn eines Tages tatsächlich töten sollte, würden andere an Jacobs Stelle treten. Der Mann in Schwarz schwört, dann auch diese Menschen zu töten.
Kritik
Halleluja! Spätestens nach dem PR-Foto zum Start der sechsten Staffel, welches den Cast von Lost in einem Abendmahl-Tableau zeigt, war klar, dass sich die Serie verstärkt in religiöse Sphären begeben würde. Ab Aeterno ist dafür nun der beste Beweis. Die Folge trieft geradezu von religiöser Symbolik (das Kreuz, der Wein, die Quasi-Taufe im Ozean,...). Dankenswerter Weise bleibt die Folge jedoch nicht bei reinen Äußerlichkeiten stehen.
Vielmehr greift die Geschichte einen der Kerngedanken der christlichen Theodizee auf: Der Frage, warum Gott die Übel zulässt, wenn er uns doch beistehen und uns von der Sünde befreien könnte. In Jacob kulminiert diese Problematik, die in Philosophie und Theologie anhand von Gott diskutiert wird, auf höchst interessante Weise: Einerseits ist er derjenige, der die Menschen überhaupt erst auf die Insel holt - und dabei ja eindeutig ihren freien Willen manipuliert. Auf der anderen Seite erwartet er von denjenigen, die er nun in diese Vor-Hölle geworfen hat, dass sie von sich aus darauf kommen, was in dieser Situation nun gut und böse, richtig und falsch ist.
Gar keine Frage: Dieses stark religiös aufgeladene Szenario wird sicherlich nicht jedermanns Sache sein. Nun bleibt den Autoren aber wohl auch gar nichts anderes übrig: Denn mit Lost haben sie ein Serie erschaffen, deren eigene narrative wie thematische Komplexität jede simple Auflösung verbietet. Es war alles nur ein Traum, die Abgestürzten sind in Wahrheit die ganze Zeit schon tot, Außerirdische! Alles, was nach Staffel 1 vielleicht noch als Erklärung funktioniert hätte, kann inzwischen unmöglich dafür herhalten.
Von daher ist es nur folgerichtig, dass die Autoren einen Ausweg in der Transzendenz suchen, wobei die äußere Form (Sind Jacob und der Mann in Schwarz Erzengel und Dämon?) von geringerer Bedeutung ist als die fundamentalen Menschheitsfragen, die dahinter stehen und die der Auflösung von Lost, wie diese am Ende auch immer genau aussehen wird, ein Gefühl von Tiefe und Gravitas geben wird.
Besitzen wir einen freien Willen? Wie frei kann dieser überhaupt sein, da wir uns für unsere Existenz selbst doch gar nicht entschieden haben, sondern gewissermaßen in die Welt geworfen sind? Was bedeutet das für unsere Fähigkeit, uns zwischen Gut und Böse entscheiden zu können? Das sind Fragen, die Lost direkt wie indirekt berührt - und die weit über den Kreis der religiös Gläubigen eine universell menschliche Relevanz besitzen.
Das ist es, was Ab Aeterno einerseits so faszinierend macht. Das ist andererseits etwas, wodurch die Folge auch etwas Sperriges bekommt. Als würde es nicht schon ausreichen, dass sie - für Lost-Verhältnisse - ungewöhnlich linear erzählt ist und damit (wieder einmal) die Zuschauererwartungen unterläuft. Von den zahlreichen Dialogen auf Spanisch einmal ganz zu schweigen.
Emotional getragen wird die Folge von Richards Erfahrung des Verlusts, der Schuld und der Enttäuschung über die (vermeintliche) Lügen Jacobs. Nachdem wir schon einige unglückliche Liebespaare in der Serie hatten, fällt es etwas schwer, sofort die emotionale Bindung zu dem Paar Ricardo und Isabella herzustellen. Nestor Carbonell gelingt es jedoch sehr überzeugend, Richards Schmerz und Verzweiflung zu transportieren. Dazu kommt die sehr gefühlvoll geschriebene Szene im Dschungel, als es Hurley gelingt, eine Art Verbindung zwischen den beiden Liebenden herzustellen. Das war auf jeden Fall ein Moment, der mir nahe gegangen ist.
Fazit
Ab Aeterno ist mit Sicherheit nicht die beste Folge der aktuellen Staffel gewesen. Dafür jedoch eine der interessantesten. Sie beantwortet nicht nur im Vorbeigehen einige der großen Lost-Fragen (wie beispielsweise, was mit der Statue geschehen ist), sondern beleuchtet auch die dahinterliegende Mythologie der Serie. Seit Babylon 5 und Star Trek: Deep Space Nine ist wahrscheinlich keine SciFi-Serie mehr so tief in religiöses Territorium vorgedrungen. Dabei könnte man den Auftritt des Paters in dieser Folge auch durchaus als einen aktuellen Kommentar zur institutionalisierten Religion lesen.